© Hans Peter Schmitz, Tübingen 1994
ISBN 3-927604-16-X
Redaktion: Catrin Misselhorn, Thomas Nielebock, Volker Rittberger, Frank Schimmelfennig
Fußnoten
Literatur
Summary
Die Debatte um eine Neue Weltinformations- und -kommunikationsordnung gilt gemeinhin als ein Beispiel für das Scheitern internationaler Kooperation und die Durchsetzung der Interessen mächtiger Staaten. Nach zwei Jahrzehnten teilweise heftig geführter Auseinandersetzungen um die inhaltliche Füllung des Begriffs beschloß die 25. Generalkonferenz der UNESCO im November 1989 die Streichung des Konzeptes aus ihrem Programm und deklarierte damit zugleich die Rückkehr zum Prinzip des free flow of information (Delbrück 1991; Melber 1991), das nach dem Zweiten Weltkrieg unter Führung der USA durchgesetzt worden war.[Fußnote 2] Die zu Beginn der 70er Jahre vornehmlich von Staaten aus der sogenannten Dritten Welt formulierte Herausforderung dieses Prinzips sowie die westliche Reaktion darauf hatten einen erheblichen Anteil an dem sichtbaren Niedergang der UNESCO im Verlauf der 80er Jahre. Ihren Höhepunkt fand diese Krise in den Austritten der USA 1983/84 und Großbritanniens ein Jahr später (vgl. Breunig 1987: 161).
Als gängigste Erklärung für das Scheitern der Forderung nach einer NWICO werden immer wieder die Machtunterschiede zwischen den Befürwortern einer solchen neuen globalen Ordnung und den Verteidigern der alten Ordnung in Gestalt der westlichen Industriestaaten genannt. Dies ist nicht nur die Quintessenz einer Reihe kapitalismuskritischer Studien (u.a. Schiller 1993: 54), sondern folgt auch aus einer realistisch motivierten Analyse, wie sie von Krasner (1985) vorgelegt wurde. Da letzterer eine umfassende Interpretation der Nord-Süd-Beziehungen aus der Sicht einer grundlegenden Theorie der internationalen Beziehungen anbietet, wird diese zum Ausgangspunkt der nachfolgenden Untersuchung gewählt.
Meine im folgenden erläuterte These besagt, daß die NWICO nicht in erster Linie am Widerstand ihrer Gegner, sondern an dem mangelnden Zusammenhalt ihrer Befürworter scheiterte.[Fußnote 3] Weder die Entstehung noch das Ergebnis der NWICO-Debatte kann hinreichend aus dem strukturellen Konflikt zwischen Nord und Süd und damit aus der Machtdifferenz zwischen beiden Lagern erklärt werden. Vielmehr hatten die Interessendivergenzen innerhalb der Dritten Welt (1), der normative Rahmen in Gestalt einer am Universalitätsprinzip orientierten internationalen Organisation (2), und der sich beschleunigende technologische Fortschritt (3) entscheidenden Anteil am Verlauf und Ergebnis der Debatte. Der Austritt der USA 1984 war kein Ausdruck einer Politik des Stärkeren, die zum letzten Mittel ihrer Interessendurchsetzung griff, sondern Ergebnis einer innenpolitischen Konstellation, in der durch die Präsidentschaft von Ronald Reagan der Einfluß von Gruppen gestärkt wurde, die einer multilateralen Ausrichtung der amerikanischen Außenpolitik feindlich gegenüberstanden.[Fußnote 4] Die Debatte um eine NWICO galt hingegen bereits Jahre vor dem Austritt der USA als faktisch beendet,[Fußnote 5] d.h. die Forderungen der Dritten Welt sind keine hinreichende Erklärung für das Verhalten insbesondere der Vereinigten Staaten. Vielmehr bestimmte hier eine negative Wahrnehmung der zunehmenden Unabhängigkeit internationaler Institutionen und deren Sekretariate das Verhalten.
Die Überprüfung der neorealistischen Interpretation der Nord-Süd-Beziehungen zeigt zudem, daß Krasner wichtige Grundannahmen der eigenen Theorie vernachlässigen muß, um überhaupt die empirisch feststellbaren Politikergebnisse erklären zu können. Hellmann ist insofern beizupflichten, als der Neorealismus sich während der letzten 15 Jahre tatsächlich der Herausforderung zunehmender "Anomalien" gestellt hat (Hellmann 1994: 75), doch tat er dies nicht nur unter Preisgabe einer eleganten Argumentation. Gerade der Neorealismus Krasnerscher Prägung hat sich auch weitgehend von den ursprünglichen Grundlagen der realistischen Theorie entfernt.
Ausgangspunkt der realistischen Theoriebildung ist stets eine durch Machtbeziehungen strukturierte internationale Umwelt, in der allein Staaten als analytisch relevante und voneinander unabhängige Akteure agieren. Der Realismus als Theorie der internationalen Beziehungen verstand sich dabei von Beginn an als ein Versuch der Beschreibung internationaler Politik "so wie sie ist". Ziel war die Verwissenschaftlichung einer noch jungen Disziplin, die sich bis dahin vornehmlich durch "idealistische" Vorstellungen zur internationalen Politik von älteren Disziplinen in diesem Bereich (z.B. Völkerrecht) zu emanzipieren suchte. Spätestens mit dem Beginn des Kalten Krieges wurde der Realismus zum dominierenden Paradigma der Analyse internationaler Beziehungen.
Aus realistischer Sicht verfolgen staatliche Akteure die Verteidigung der territorialen Integrität und damit die Selbsterhaltung als oberstes Ziel. Als zentrales Mittel zur Wahrung der eigenen Sicherheit gelten dabei die Androhung und gegebenenfalls Anwendung von Waffengewalt. Hieraus ergibt sich eine internationale Hierarchie von mehr oder weniger starken Staaten, in der Militärbündnisse das wichtigste Interaktionsmuster und Mittel zur Gewährleistung eigener Sicherheit sind. Aus der Betonung der militärischen Stärke folgt die absolute Dominanz der Staaten in der realistischen Analyse, da nur diese über nennenswerte Waffenarsenale verfügen. Staaten handeln in der ihnen eigenen Umwelt, dem internationalen System, als rationale und geschlossene Einheiten; ihr Handeln ist für einen externen Beobachter aufgrund der determinierenden Wirkung des internationalen Systems objektiv nachvollziehbar und vorhersagbar.
Es stellt sich deshalb für Krasner die Frage, warum es den Staaten der Dritten Welt gelingen konnte, in den 70er Jahren eine beachtenswerte Handlungsfähigkeit gerade gegenüber den starken westlichen Staaten zu entwickeln. Warum sollten militärisch sehr schwache Staaten, die ihre Kräfte lediglich politisch - und auch hier nur in Ansätzen - zu bündeln wußten, eine ernsthafte Herausforderung für die bestehende internationale Ordnung darstellen?
Die Beantwortung dieser Frage im Sinne einer realistischen Interpretation setzt zunächst eine kurze Nachzeichung der Theorieentwicklung voraus, die einerseits zu einer Präzisierung, andererseits zu einer Relativierung der realistischen Grundannahmen in Form verschiedener neorealistischer Ansätze führte. Im folgenden wird auf die drei wichtigsten Entwicklungen in diesem Zusammenhang eingegangen, die sich später auch in der Krasnerschen Interpretation des Nord-Süd-Verhältnisses wiederfinden werden. Dies sind (1) die systematische Ableitung des staatlichen Handelns aus den eigenen Fähigkeiten und den Gegebenheiten der internationalen Umwelt (Waltz), (2) die Relativierung der sicherheitspolitischen Dominanz in den internationalen Beziehungen (Gilpin), und (3) die Einschränkung der anarchischen Struktur der internationalen Beziehungen durch internationale Institutionen und andere Formen der zwischenstaatlichen Kooperation (Keohane/Nye).
Als wichtigster Fortschritt gegenüber dem älteren Realismus kann das verbesserte Verständnis im Hinblick auf die Motive von staatlichen Akteuren gelten. Während der ältere Realismus noch kein klares und systematisch entwickeltes Konzept hierzu kannte, ist es das Verdienst von Kenneth Waltz, eine in sich schlüssige, theoretische Verbindung zwischen der festgestellten Anarchie in der internationalen Politik und den Handlungsweisen von Staaten herzustellen. Danach mußten diese unter den gegebenen Bedingungen (Staaten als voneinander funktional unabhängige Einheiten, Anarchie als strukturierendes Element, Selbsterhaltung als wichtigstes Ziel der Akteure) zumindest nach Machterhalt streben. "The first concern of states is not to maximize power but to maintain their position in the system" (Waltz 1979: 126). Damit fand erstmals das Konzept eines rationalen und eigeninteressierten Akteurs systematisch Eingang in die Theorie der internationalen Beziehungen. Dadurch wurde die Untersuchung der Handlungsmotive von Staaten weniger wichtig, da eine objektive internationale Struktur das Handeln aller Akteure determinierte. "In other words, what states do is determined by what they can get" (Moravcsik 1992: 11). Staaten bekommen damit den Anteil an einem zu verteilenden Gut, der ihren relativen Machtressourcen entspricht. Paradox ist diese Situation, da Staaten die einzig Handelnden des Systems sind, zugleich aber eine klare Dominanz des Systems über die Akteure angenommen wird. Der Handlungsspielraum eines Staates variiert mit seinen Machtressourcen, wobei die Gefahr einer tautologischen und status quo-orientierten Argumentation sehr groß ist. Wenn internationale Politikergebnisse nur mit Rückgriff auf eine unveränderliche internationale Struktur und die (im vorhinein bestimmten) Machtressourcen der Akteure erklärt werden, ist Wandel als Phänomen der internationalen Politik kaum zu erfassen.
Waltz hielt aber grundsätzlich an der Betonung der sicherheitspolitischen Dimension internationaler Beziehungen fest und bestand auf der Zweitrangigkeit ökonomischer und kultureller Aspekte. Mit der Analyse globaler ökonomischer Beziehungen (insbesondere im Bereich der westlichen Staaten) ergaben sich aber gerade in diesem Bereich empirische Ungereimtheiten, die eine orthodoxe Hierarchisierung von Politikfeldern in Frage stellten. Gilpin (1981) steht hier exemplarisch für eine neorealistische Interpretation, die sicherheitspolitische und ökonomische Fragen als prinzipiell gleichwertig betrachtet. "International relations continue to be a struggle for wealth and power (Herv. HPS) among independent actors in a state of anarchy" (Gilpin 1981: 7).
Als drittes und letztes sah sich der Realismus schließlich in seiner Charakterisierung der internationalen Struktur als anarchisch herausgefordert (Keohane/Nye 1977). Wachsende globale Interdependenz führte gerade zwischen den entwickelten westlichen Staaten zu Verhaltensweisen, die Kooperationsanreize außerhalb der eigenen Machterhaltung vermuten ließen. In diesem Zusammenhang wurde internationalen Institutionen eine signifikante Rolle bei der Initiierung und fortdauernden Unterstützung von zwischenstaatlicher Kooperation zugesprochen (Keohane 1984: Kap. 6). Dies widersprach einer Konzeptualisierung internationaler Politik als ausschließlich anarchisches System. Darüber hinaus konnte in einzelnen Studien gezeigt werden, daß internationale Institutionen zum Teil erheblichen Einfluß auf einzelne Politikergebnisse innerhalb von Staaten haben können, und sie damit neben der Anarchie andere handlungsleitende Strukturelemente etablieren (Finnemore 1993). Iida (1988) konnte anhand von Abstimmungsergebnissen in der VN-Generalversammlung nachweisen, daß Staaten der Dritten Welt nach ihrem Beitritt zur 'Gruppe der 77' weniger häufig in ihrem Abstimmungsverhalten von der gemeinsamen Linie abwichen als vor ihrem Beitritt. Daraus läßt sich die These ableiten, daß neben der anarchischen Verfaßtheit der internationalen Politik die institutionelle Einbindung von Staaten in bestimmte Organisationsformen ein für ihr Verhalten nach innen wie nach außen relevanter Faktor sein kann.
Mit der Ökonomisierung der Theorie fand die Auseinandersetzung des Realismus mit dem Völkerrecht als eine die Machtbeziehungen zivilisierende Variable ein abruptes Ende und wurde durch ein "reines" Modell ersetzt, in dessen Mittelpunkt rational handelnde Akteure stehen. Dies ermöglichte schließlich auch die Erklärung von Kooperation zwischen Staaten und die Abgrenzung zur liberalen Regimetheorie mit Hilfe des Konzeptes der relativen Gewinne. Während Waltz als Auslöser dieser Entwicklung seine Formulierung der realistischen Theorie noch ausreichend theoretisch abzusichern suchte, und im Gegenzug offensichtliche empirische Widersprüche zulassen mußte, verließen Autoren wie Krasner zunehmend den Boden realistischen Denkens. Wie im folgenden Abschnitt zu zeigen ist, geht Krasner deutlich über die Waltzsche Reformulierung des Realismus hinaus. Er bietet damit einen Neorealismus, der weder internationale Institutionen noch Politikfelder jenseits von Sicherheitsinteressen a priori als letztendlich nicht relevant für die Analyse internationaler Beziehungen ansieht. Es kontrastieren sich so Bemühungen um die innere Konsistenz einer Theorie (Waltz) mit Versuchen, ihre Aussagekraft in bezug auf die Empirie zu erweitern und zu verbessern. Während erstere der Gefahr unterliegen, die Theorie nicht mehr mit der Empirie in Einklang bringen zu können, müssen letztere sich fragen lassen, ob ihr theoretisches Instrumentarium noch signifikante Verbindungen zu den Ursprüngen aufweist.
Krasner beschreibt in seiner Analyse der Nord-Süd-Beziehungen die Staaten der Dritten Welt als im Innern wie nach außen schwach. Diese grundsätzliche Schwäche der Staaten wird aus seiner Sichtweise zum handlungsleitenden Motiv der jeweiligen Regierung, denn die Vertreter eines Staates streben stets nach einer Verbesserung oder Erhaltung der eigenen Position im internationalen System. Eine stärkere Position in der Staatenwelt bedeutet dabei die Fähigkeit, negative Entwicklungen im globalen System entweder selbst kontrollieren oder zumindest bei deren unabwendbarer Wirkung auf das eigene Gemeinwesen ausgleichend reagieren zu können. Die Erweiterung des äußeren Spielraums führt zu mehr Flexibilität und Legitimität nach innen. "External shocks [...] are particulary troubling for political leaders because they are likely targets of unrest generated by sudden declines in material well-being" (Krasner 1985: 5). Damit sieht Krasner einen direkten Zusammenhang zwischen Innen und Außen, wobei die internationale Stellung der einzelnen Staaten sehr schwach ist. Diese Situation wiederum determiniert allein die Interessen der Akteure und führt zu einer natürlichen Interessenidentität. "[...], I maintain that Third World unity is the result of a structural similarity among developing states, not a log-rolling strategy designed to incorporate a wide range of economic demands" (Krasner 1985: 308). Internationale Institutionen wie etwa die UNESCO spielen hier keine eigenständige Rolle.
H 1: Die Staaten der Dritten Welt hatten aufgrund ähnlicher systemisch-positionaler Einbindung in das internationale System gleiche Interessen. Ausnahmen bildeten Staaten mit ausreichend großen (Indien und China) oder bereits genügend flexiblen Binnenmärkten (u.a. Singapur, Südkorea, und Taiwan).
H 2: Der Prozeß der Interessenaggregation innerhalb der Dritten Welt war konsensual.
Aus der allseitigen Schwäche folgert Krasner eine ständige Gefährdung der Herrschaft, die handlungsleitend für die Eliten in der Dritten Welt ist.[Fußnote 7] Um die Wirkung der realen Machtasymmetrien zu begrenzen und so den eigenen Spielraum im Innern wie nach Außen zu erweitern, streben solche Akteure auf der internationalen Ebene verläßliche Umverteilungsmechanismen auf der Grundlage der formalen Gleichheit der Staaten an. Damit wurde zugleich die Position der Eliten als staatliche Akteure gestärkt. Demgegenüber waren die in der unmittelbaren Nachkriegszeit unter US-amerikanischer Führung gegründeten liberalen Regime mit ihren marktgesteuerten Verteilungsmechanismen aus Sicht der Dritt-Welt-Eliten suboptimal. Diese sorgten weder für stabile, vorhersagbare Transaktionsströme noch für eine ausreichende Generierung von Ressourcen. Vor allem aber waren die Entscheidungs- und Kontrollmöglichkeiten für staatliche Akteure des Südens sehr begrenzt.
Die staatlichen Eliten der Dritten Welt verfolgten das Ziel der eigenen Machtsicherung mit einer gemeinsamen Strategie, die neben der ökonomischen Besserstellung innerhalb des Bestehenden auch eine Neudefinition des Rahmens der globalen Beziehungen anstrebte. Ihre Schwäche zwingt diese Akteure zur gleichzeitigen Kooperation und Rebellion, sie streben im Verhältnis zum Westen zugleich relative und absolute Gewinne an (Caporaso 1993: 485). "Third World states want power and control as much as wealth" (Krasner 1985: 3).
H 3: Die Staaten der Dritten Welt verlangten nach autoritativ verteilenden Regimen und strebten gleichermaßen ordnungspolitische Veränderungen und Wohlfahrtszuwächse an.
Zum einen können Akteure innerhalb eines gesteckten Rahmens mehr oder weniger erfolgreiche Strategien zur Maximierung ihrer Interessen verfolgen und so die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel möglichst effizient einzusetzen suchen. Zum anderen können Akteure aber auch den Rahmen einer Auseinandersetzung selbst zu verändern suchen. In einer Konfliktsituation definiert Krasner ersteres als relational-power behavior , letzteres als meta-power behavior .[Fußnote 8] Die Erfolgschancen der Dritten Welt sieht Krasner dabei abhängig von (1) der Beschaffenheit der institutionellen Strukturen, (2) der Fähigkeit der Herausforderer, ein konsistentes Ideengebäude zu vertreten, und (3) dem Verhalten und der Macht des Nordens (Krasner 1985: 93).
Je weiter der Rückgang amerikanischer Hegemonie in einem bestimmten Politkfeld fortschritt und je offener der Zugang zu einer internationalen Institution im selben Bereich war, desto leichter fiel es der Dritten Welt, diese für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Diese Institutionen wurden von ihr mit einer kohärenten Interpretation der herrschenden Wirklichkeit überzogen, die darauf abzielte, Regime und Organisationen so zu ändern, daß deren interne Strukturen zugunsten der Dritten Welt modifiziert wurden.[Fußnote 9] Dieses einmütig vorgetragene Ideengebäude war im wesentlichen gespeist von den Ideen der dependencia -Forschung, die die Verantwortung für den Zustand des Südens im wesentlichen dem Norden zuwies.
H 4: Eine Herausforderung der bestehenden internationalen Ordnung war den Entwicklungsländer aufgrund des Machtverfalls der amerikanischen Hegemonie (1), der eigenen Mehrheit in Organisationen der Vereinten Nationen (2), und der Existenz eines kohärenten Ideengebäudes (3) möglich.
Die Konfliktintensität schwankte nach Krasner jeweils nach den Besonderheiten des Gegenstandes und der Beschaffenheit der Arena. "The more liberal the existing principles, norms, and rules and the more accessible the decision-making organization, the higher the level of conflict" (Krasner 1985: 116). Letztendlich allerdings konnten sich die Staaten des Südens mit ihren Forderungen nicht durchsetzen, denn an der zugrundeliegenden asymmetrischen Machtverteilung änderte sich im Verlauf des Konfliktes nichts (Krasner 1985: 29).
H 5: Da sich die Machtressourcen der Dritten Welt nicht vergrößern, können internationale Institutionen weder zerstört noch durch andere ersetzt werden.
In seinem 1991 veröffentlichten Aufsatz Global Communications and National Power. Life on the Pareto Frontier präzisiert Krasner die Quellen und die genauen Wirkungspfade von Macht in den weltweiten Kommunikationsbeziehungen. Dabei bestimmen im wesentlichen die technologische Verfügungsgewalt (1), die Größe des Binnenmarktes (2), die Mitgliedschaft in relevanten internationalen Organisationen (3) und die eigene Fähigkeit zur Kontrolle über ein Territorium (4) die Macht eines Landes in diesem Politikfeld. Selbst dort, wo Regime aufgrund der allseitigen Erkenntnis drohender Nachteile durch Nichtkooperation ( dilemmas of common aversion ) realisiert wurden,[Fußnote 10] führte der durch Machtbeziehungen gestaltete Rahmen zu Lösungen, die dem stärkeren Akteur Vorteile gegenüber den anderen Akteuren brachten. Nach Ansicht Krasners handelt es sich dabei jeweils um Koordinationsspiele mit Verteilungskonflikten.[Fußnote 11] "While all actors were better off with some form of coordination rather than none, the form of coordination adopted would affect them differently" (Krasner 1991: 363). Die starken Akteure bestimmen dabei über (1) die Zulassung von 'Mitspielern', (2) die Festlegung der Spielregeln, und (3) die Vorauswahl von möglichen Ergebnissen den von ihnen erwünschten Verlauf.
Für die Zukunft der Nord-Süd-Beziehungen zeichnet Krasner ein sich nahtlos in die realistische Tradition einfügendes pessimistisches Bild. Eine Überwindung der von ihm beschriebenen ideologischen Differenzen sei aufgrund des asymmetrischen Verhältnisses und der daraus resultierenden tiefgreifenden Interessengegensätze kaum zu erwarten. "Trends do not indicate any transformation of the basic structural conditions generating tension between the North and the South over regime principles and norms" (Krasner 1985: 304f.).
Die von Nord und Süd beiderseitig gemachten Erfahrungen der letzten 30 Jahre legen deshalb für Krasner nahe, die Beziehungen konsequent einzuschränken und Konflikte dadurch zu vermeiden, daß man sie nicht mehr in gemeinsamen Foren thematisiert. "Tensions could be lessened, however, if the degree of interactions between North and South declined" (Krasner 1985: 270). Dies sei insbesondere im Sinne des Südens, der einen für beide Seiten wünschenswerten Kurs einer collective self-reliance bisher noch nicht mit Nachdruck verfolgt hat. Diese Aufforderung zur 'echten' collective self-reliance begründet er aber nicht in erster Linie mit den damit wachsenden eigenen Kräften, sondern mit der Dysfunktionalität globaler Auseinandersetzungen zwischen Starken und Schwachen. "Collective self-reliance would not eliminate the difficulties experienced by Third World countries in the international environment, but it would turn dissatisfaction away from the North" (Ebd.: 301). Erst wenn der Süden seine Schwäche unabhängig vom Norden überwindet, werden auch die grundsätzlichen Interessendivergenzen geringer (Ebd.: 298).
H 6: Wegen des strukturellen Charakters des Konfliktes kann nur eine Abkoppelung des Südens von der nördlichen Hemisphäre kurz- und mittelfristig die Situation verbessern.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die Analyse von Krasner die relativen Machtverhältnisse der Staaten untereinander in den Mittelpunkt stellt. Es handelt sich um eine systemische Analyse der Nord-Süd-Beziehungen, die die Verhältnisse im Innern der Staaten als unerheblich für das festgestellte Verhalten ansieht. Die Besonderheit der realistischen Argumentation Krasners liegt in seiner maßvollen Anerkennung der Rolle von Regimen und internationalen Organisationen. Internationale Institutionen können so begrenzt die Anwendung bestimmter Machtressourcen gegenüber anderen privilegieren und mit einer Zeitverzögerung Bestandsträgheit ( inertia entwickeln (vgl. auch Krasner 1983: 360). Dies wird unterstützt durch einen Gewöhnungseffekt bei den staatlichen Akteuren und durch die Entstehung von supranationalen Bürokratien, die sich durch die Zuteilung von Werten eine Klientel aufbauen können (Krasner 1985: 29).
Krasner will von einer realistisch analysierten Ausgangssituation nacheinander Erfolg und Mißerfolg der Dritten Welt in globalen Foren erklären. Das Rätsel in dieser Untersuchung ist der Erfolg des Südens bei der Thematisierung und teilweisen deklaratorischen Umsetzung der eigenen Wünsche. Während Krasner die Ausgangssituation und das Ergebnis realistisch beschreibt, führt er an diesem Punkt Faktoren ein, die sich nicht mit einer machtzentrierten Analyse in Einklang bringen lassen. So verweist die Erwähnung eines konsistenten Ideengebäudes auf die soziale Konstruktion von Akteuren und deren Interessen und das westliche Festhalten an globalen Institutionen auf ein nicht näher bestimmtes Eigengewicht von internationalen Regimen und Organisationen. Allein der dritte Faktor, ein hegemonialer Abstieg der USA, ist mit einer realistischen Analyse vereinbar (Krasner 1985: 122f.). Schließlich kehrt Krasner bei der Beschreibung des Ergebnisses der Auseinandersetzung zu einer realistischen Sichtweise zurück.
"The greater the success of the Third World in changing regimes against Northern preferences, the more likely the North is to rupture existing practices by withdrawing support. The tensions between the South and the North, [...], cannot be resolved through either economic growth or regime change" (Krasner 1985: 30).
In einem solchen Verständnis werden Politikergebnisse (outcomes) nicht allein durch Machtressourcen erklärt, die in einer direkten Konfrontation eingesetzt werden. Vielmehr werden sie auch aus der Fähigkeit der Akteure abgeleitet, die Rahmenbedingungen der Auseinandersetzung zu bestimmen. Obgleich Krasner Regimen einen Einfluß auf Politikergebnisse in der internationalen Politik zuschreibt, kann er diesen nicht systematisch in seiner Theorie verorten. Er erkennt Regime zunächst als ein durch die wachsende Interdependenz zunehmend wichtiger werdendes Instrument staatlicher Politik an. In einem weiteren Schritt gesteht er ihnen dann eine gewisse Autonomie zu, die allerdings nur zur Erklärung von empirisch festgestellten Anomalien dient. Zugleich beharrt er auf einem Konzept der internationalen Beziehungen, das alle Politikergebnisse auf intentional handelnde staatliche Akteure zurückführt.
Um die Hypothesen für das internationale Politikfeld Information und Kommunikation zu prüfen, wird die NWICO-Debatte zwischen 1972 und 1989 rekapituliert. Dies geschieht zum einen für die Diskussion innerhalb der »Bewegung der Blockfreien« und zum anderen für die Auseinandersetzungen in der UNESCO. Ersteres wird dabei als Prozeß der Interessenaggregation, letzteres als Prozeß der kollektiven Interessenartikulation gegenüber den beiden Blöcken konzipiert (Matthies 1985: 41). Ihre analytische Trennung soll nicht über den engen Zusammenhang der beiden Prozesse hinwegtäuschen, sie reflektiert vielmehr die Erwartung, daß der Verlauf und die Ergebnisse der internen Interessenaggregation von Bedeutung für den Ausgang der angestrebten Interessendurchsetzung sind: "Intra-party bargaining [...] becomes crucial for the eventual outcome of the inter-party negotiations" (Mitchell 1981: 240).
Grundlage für die Beschäftigung der UNESCO mit globalen Kommunikationsbeziehungen sind ihre Statuten, die in Art. 1, Abs. 2 das Ziel formulieren, "durch Einführung von Methoden internationaler Zusammenarbeit...allen Völkern die Veröffentlichungen aller anderen Völker zugänglich zu machen" (zit. nach Breunig 1987: 54). Obgleich die Organisation in ihrem Namen nur auf die Bereiche Wissenschaft, Kultur und Erziehung Bezug nimmt, drängte vor allem die US-amerikanische Regierung auf eine gleichwertige Aufnahme von Fragen der Kommunikation und die gezielte "Förderung der Massenmedien" (Ebd.; vgl. Finkelstein 1988: 389). Kurz nach ihrer Gründung (1947-1951) begann die UNESCO folgerichtig mit der Erstellung von Studien zu globalen Medien- und Kommunikationsbeziehungen.[Fußnote 12] Dabei stellte sich schnell heraus, daß die marktwirtschaftlich organisierten, internationalen Nachrichtenagenturen einzelne Regionen aufgrund mangelnder Profitaussichten unterversorgten und umgekehrt eben aus jenen Teilen der Erde nur sehr wenig zu berichten wußten. Auch in bezug auf die Inhalte konnten Ungleichgewichte festgestellt werden (Kayser 1953). Während die unterversorgten und weniger entwickelten Regionen der Erde mehr über interne Begebenheiten der Industriestaaten als über Entwicklungen im Nachbarland erfuhren (Matta 1981), prägten negative Meldungen aus der südlichen Hemisphäre die Berichterstattung in den Industriestaaten.
Noch während des erfolgreichen Wiederaufbaus Europas wendete sich das Interesse zunehmend der südlichen Hemisphäre zu, die mit erprobten Rezepten an den globalen Modernisierungsprozeß angeschlossen werden sollte. Der Massenkommunikation wurde dabei eine zentrale Stellung in der Erziehung von Menschen zugewiesen. In ähnlicher Weise wie dies bereits für die Wissenschaftspolitik durch Finnemore (1993) gezeigt wurde, begann die UNESCO im Kommunikationsbereich Standards für die nationale Entwicklung zu setzen und die gerade unabhängig gewordenen Staaten des Südens zu sozialisieren. "(...) international organisations, once established, produce their own convergent expectations and norms" (Finnemore 1993: 594).
So wurde im Kommunikationsbereich Wilbur Schramms Buch Mass Media and National Development zur "Bibel für eine Generation von Entwicklungsanstrengungen" (Stevenson 1988: 2). Diese von der UNESCO in Auftrag gegebene Studie[Fußnote 13] hatte die Aufgabe, die mögliche Rolle der Massenmedien im Entwicklungsprozeß zu klären und praktische Vorschläge zur Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu liefern. Dort entwickelt Schramm ein Verständnis von Massenmedien und deren erfolgreichen Einsatz als Agenten des sozialen Wandels (Schramm 1964: 114).
"Basically the mechanism of such a change is simple. First, the populace must become aware of a need which is not satisfied by present custom and behavior. Second, they must invent or borrow behavior that comes closer to meeting the need. A nation that wants to accelerate that process, as all developing nations do today, will try to make its people more widely and quickly aware of needs and of opportunities for meeting them, will facilitate the decision process, and will help the people put the new practices smoothly and swiftly into effect" (Ebd.: 115).
Ein weiterer früher Protagonist des Einsatzes der Massenmedien im Dienste der Entwicklung, Daniel Lerner, argumentierte, daß zum wirklichen Erfolg der Medien die Urbanisierung im großen Stil gehöre (Lerner 1958: 61). Gestützt auf eigene Feldforschung in Ländern des Mittleren Ostens entwarf Lerner ein Konzept der Modernisierung traditionaler Gesellschaften mit Hilfe der Massenmedien. Dreh- und Angelpunkt seiner Argumentation war die zu steigernde ökonomische und politische Partizipation, wobei er unter ersterem das Einkommen und unter letzterem die Beteiligung an Wahlen versteht. Lerner vertritt die These, daß traditionale Gesellschaften nicht-partizipatorisch organisiert seien und somit eine moderne Gesellschaft sich durch die Adjektive "industrial, urban, literate and participant " (Ebd.: 50) auszeichnen müsse. Dabei werde die Urbanisierung zu einer Schlüsselmaßnahme, die allen anderen Entwicklungsprogrammen vorausgehen müsse. "Our earlier data indicated that about 10% of the population must be urbanized before the take-off occurs. At this point it becomes economical to develop literacy and media; hence urbanization and other modernizing trends grow together for a period" (Ebd.: 63).
Erst wenn 'eine kritische Masse von Menschen' in einer Stadt wohnt, werden die Massenmedien für eine Entwicklung durch Alphabetisierung und Bildung sorgen. Maßstab der Entwicklung waren stets die westlichen Vorbilder, die nicht hinterfragt und undifferenziert zum Modell erhoben wurden. Einzig die Programme für Radio und Fernsehen mußten noch entworfen werden; das Problem war aus dieser Sicht rein technischer Natur.
"Encouraged by Western development assistance programs and a generation of scholars who accepted the optimistic scenario advanced by Lerner and Schramm, efforts to use mass media as the great multipliers of knowledge, experience and inspiration continued" (Stevenson 1988: 3).
Hier zeigt sich, daß bereits wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg internationale Organisationen selbständig die weit gefaßten Aufgaben[Fußnote 14] ihrer jeweiligen Satzungen auszugestalten begannen. Die von ihnen in Auftrag gegebenen Studien formten in erheblicher Weise nicht nur die eigenen Programme, sondern auch die Präferenzen der Staaten selbst (Finnemore 1993: 594; u.a. UNESCO 1976, 1979, 1981a). Während in der Wissenschaftspolitik ein kontinuierlicher Einfluß der UNESCO auf die einzelnen Staaten festzustellen ist (Ebd.: 576ff.), lassen sich im Kommunikationsbereich hingegen zwei signifikante Brüche feststellen, wobei der erste am Ende der sechziger Jahre noch im Rahmen der UNESCO stattfand, während der zweite zu Beginn der achtziger Jahre die Integrität der Organisation selbst bedrohte. In den sechziger Jahren wurden die ersten ernüchternden Ergebnissen der Entwicklungsarbeit zum Anlaß genommen, die bisher hoch angesiedelte Rolle der Massenmedien grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Entwicklung ließ sich entgegen der Voraussagen mit Hilfe der neuen Medien keineswegs fast beliebig komprimieren. Doch schien dies nur eine Frage der Mittel zu sein, nicht ein grundsätzliches Problem der durch internationale Organisationen vermittelten Entwicklungshilfe.
Allerdings war der Mißerfolg der Entwicklungsprogramme nur eine notwendige, nicht eine hinreichende Bedingung für das Aufkommen der Diskussion über die Rolle der Massenmedien. Mit ihr einhergehend bot die dependencia -Forschung eine radikale Kritik der herrschenden Verhältnisse an,[Fußnote 15] die Massenmedien als Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln identifiziert. Gerade die amerikanische Betonung der individuellen Ebene in der Entwicklungshilfe, wie sie sich etwa in Lerners partizipativem Ansatz ausdrückte, wurde von der dependencia -Forschung als fortgeschrittenste Form der Manipulation unter Umgehung aller Filtermechanismen angeprangert. Eine gemäßigtere Variante der Kritik an den damals herrschenden amerikanischen Entwicklungsleitlinien verwies auf den Umstand, daß die individuelle Schwerpunktsetzung eine ungerechtfertigte Vernachlässigung der Rolle des politischen und ökonomischen Systems mit sich bringe (Stevenson 1988: 7).
Für die Diskussion über die Rolle der Medien im Entwicklungsprozeß bedeutete dies, daß die kulturelle Dimension der westlichen Dominanz (Matta 1981) und die krassen Ungleichgewichte im internationalen Informationsfluß (Koschwitz 1977; Legum/Cornwell 1978; Richstad/Anderson 1981) an Wichtigkeit gewannen. Die Argumentation machte nicht mehr Defizite in den einzelnen Ländern für ihren Entwicklungsrückstand verantwortlich, sondern fand in globalen Abhängigkeitsverhältnissen die Ursache für die herrschende Situation. Während in der Kolonialzeit Machtansprüche noch mit offener Gewalt durchgesetzt wurden, übernahmen nach dem Zweiten Weltkrieg die Massenkommunikationsmittel weitgehend die Sicherung der Dominanz. Entwicklung als Ziel und insbesondere die dabei angewendeten Mittel wurden nicht mehr primär als ein technisches Problem angesehen, sondern im Rahmen globaler Dominanzverhältnisse neu interpretiert und problematisiert (Gunther 1978; Keune 1984; Metze-Mangold 1984; Steinweg 1984).
Weitere externe Faktoren begünstigten Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre die beschriebene Kehrtwende in der Diskussion. Grundlage dafür waren die sich wandelnden Mehrheitsverhältnisse in den VN und ihren Sonderorganisationen, die sich bereits seit 1960 einem Zustrom neuer, gerade unabhängig gewordener Staaten gegenübersahen. Darüber hinaus unterstützte insbesondere der Vietnam-Krieg und die sich darin abzeichnende Niederlage der USA sowie das Aufsteigen neuer Entwicklungsleitbilder in den Reihen der Dritten Welt die schnelle Abwendung von westlichen Entwicklungsidealen. Neben Kuba spielte die Volksrepublik China eine entscheidende Rolle bei der Stärkung des südlichen Glaubens an eine eigene, vom Norden unabhängige Entwicklung. Als schließlich zu Beginn der 70er Jahre die sprunghafte Erhöhung der Ölpreise durch die OPEC durchgesetzt wurde, galt dies als ermutigendes Signal für Forderungen auch in anderen Bereichen. Allerdings wurde der angebliche neue globale Akteur "Dritte Welt" bereits damals als nicht zuletzt in westlichen Staaten kreierter "populärer Mythos" und deshalb untaugliche Strategie zur Interessendurchsetzung bezeichnet (Lyon 1974: 138).
Zusammenfassend wird deutlich, daß die Vorstellungen staatlicher Akteure über die Rolle von Massenmedien durch die Arbeit internationaler Organisationen mitgeprägt wurde. Dies widerspricht der Hypothese 1, die Interessen alleine aus der systemisch-positionalen Einbindung in das internationale System ableitet. Nachdem der UNESCO im Medienbereich ausdrücklich breit gefaßte Kompetenzen zugewiesen worden waren, führte das Versagen der rein technischen Hilfe zu einer Problematisierung der Rolle von Massenmedien an sich. Das außergewöhnlich weite Mandat der Organisation ermöglichte hier sogar eine grundsätzliche Infragestellung der bisherigen Arbeit im Verlauf der 60er Jahre. Die UNESCO hat Entwicklungspolitik mitgestaltet; sie hat darüber hinaus allein auf der Basis ihres Mandats Studien auf den Weg gebracht, die zur Grundlage der Kritik des Südens am ungleichgewichtigen Nachrichtenfluß wurden. Diese wichtige Funktion in bezug auf die Interessenformulierung und die Implementation von nationaler Entwicklungspolitik des Südens wurde von einer Reihe Faktoren begünstigt, die die Dritte Welt eine unabhängigere Rolle in der Weltpolitik anstreben ließ. Real waren aber sowohl die gemeinsamen Interessen als auch die Mitteln zu deren Durchsetzung sehr beschränkt.
Als Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen soll die von Ernst B. Haas eingeführte Charakterisierung internationaler Organisationen als "Koalitionen von Koalitionen" (Haas 1990: 83) dienen. Danach bestimmen Staaten durch intra-gouvernementale Verhandlungen zunächst ihre nationale Position, harmonisieren diese dann mit verbündeten Staaten, um sie schließlich auf der dritten Ebene gegenüber anderen Koalitionen in der jeweiligen internationalen Organisation zu vertreten. Im vorliegenden Fall kann die Ebene der nationalen Interessenformierung vernachlässigt werden, da Akteure im Innern der Dritt-Welt-Staaten keine für das Ergebnis maßgebliche Rolle spielten.
Ziel ist es, die Aussagen von Krasner zur inneren Verfaßtheit der Herausforderer und zu deren interner Positionsbestimmung am Beispiel der NWICO zu überprüfen. Laut Krasner zeichnet sich die Koalition der Dritten Welt durch eine hohe Robustheit aus, die sich auf eine gleichartige strukturelle Benachteiligung stützt (Hypothese 2). Zur Entscheidung dieser Frage gibt es prinzipiell zwei Wege der empirischen Überprüfung. Zum einen kann der Prozeß der Interessenaggregation auf seinen konsensualen oder nicht-konsensualen Verlauf untersucht und typologisiert werden. Zum anderen können die Interessen der beteiligten Staaten auf ihre tatsächliche Übereinstimmung untersucht werden. Letzteres führt freilich in eine schwierige Diskussion über die Feststellung der 'wahren' Interessen eines Landes, da eine realistische Argumentation das Anführen subsystemischer Determinanten stets mit dem Hinweis auf die strukturelle Einbindung zurückweisen wird.
Die Suche nach Abweichungen im Verhalten anhand des Koordinationsverlaufs erscheint damit als sinnvollster Weg zur Überprüfung der von Krasner vertretenen Interpretation (Hypothese 2). Da sich die vorliegende Arbeit vorwiegend auf gemeinsam erstellte Dokumente der Blockfreien stützt, ist ihr Anspruch auf die Feststellung bzw. Beseitigung von Zweifeln am konsensualen Verlauf beschränkt. Ein positiver Beweis für einen bestimmten Verlaufstyp bedürfte einer Untersuchung, die sich auf den Entstehungsprozeß der Dokumente stützt. Dies konnte im Rahmen dieser Arbeit nur ansatzweise versucht werden.
Zur Beurteilung der Hypothese 2 müssen so zunächst die internen Prozesse in der Bewegung der Blockfreien typologisiert werden. Als übergreifende Kategorie werden dazu alle Gespräche, die gemeinsames Handeln zum Ziel haben, als Koordinationsprozesse definiert. Eine besondere Form von Koordinationsprozessen stellen die Verhandlungen dar, die sich zusätzlich durch die Existenz eines Interessenkonfliktes auszeichnen, der "weder ignoriert noch gewaltsam ausgetragen wird" (Rittberger 1991: 412). Denkbar sind aber auch andere Koordinationsprozesse, wie etwa der Gerichtsentscheid, ein Mehrheitsbeschluß oder simple Absprachen über das weitere Vorgehen.
Nach Haas (1964: 111) lassen sich mit (1) minimum common denominator (2) splitting the difference und (3) upgrading the common interest drei Typen von Koordinationsprozessen unterscheiden. Von diesen Entscheidungsmustern wird dann auf den Grad der durch die Entscheidung gewonnenen Integration der beteiligten Parteien geschlossen (Ebd.). Die von Krasner postulierte Interessenidentität der Staaten der Dritten Welt müßte deshalb eine außergewöhnlich hohe Integration der Gruppe sowohl in der Erarbeitung der eigenen Position als auch im Prozeß der Vertretung dieser Position nach außen erwarten lassen.
Die Bewegung der Blockfreien[Fußnote 16] reagierte mit deutlicher Zeitverzögerung auf die aufkommende Diskussion über die Rolle der Medien in den internationalen Beziehungen und formulierte eine eigene Position erst Jahre, nachdem die UNESCO in einer Reihe von Regional- und Expertentreffen das Thema lanciert hatte. Dies geschah mit "ersten konkreten Schritten" auf der vierten Gipfelkonferenz der Blockfreien in Algier 1973 (Mölich 1983: 86), die erheblich vom damals unerwarteten Erfolg der OPEC getragen und beeinflußt wurde. Erstmals konnten Staaten der Dritten Welt durch gemeinsames Vorgehen eigene Interessen gegen den Westen durchsetzen. Die OPEC wurde als "Meilenstein in der weltweiten Bewegung zur Erlangung der Kontrolle über die natürlichen Ressourcen der Entwicklungsländer" (Boumedienne)[Fußnote 17] angesehen und führte zu einer verstärkten Zusammenarbeit innerhalb der Bewegung, die bestehende Differenzen scheinbar verschwinden ließ. Mit der Gipfelkonferenz von Algier trat die Bewegung nach ihrer Gründung 1961 in Belgrad und einer Stagnationsphase[Fußnote 18] bis zu Beginn der 70er Jahre in eine neue Phase, die einerseits von einem steigenden Selbstbewußtsein geprägt war, und in der andererseits wichtige Themen des Nord-Süd-Konfliktes bereits formuliert und damit politisch einsetzbar waren. Dieses relative Hoch hielt lediglich bis zur fünften Generalkonferenz in Colombo 1976 an.
Unter Punkt XIII des Schlußdokuments von Algier wurde die Reorganisation der bestehenden Kommunikationsnetze, die kollektive Übernahme von Nachrichtensatelliten bzw. die Entwicklung von Verhaltensregeln für deren Nutzung sowie die Überprüfung gegenwärtiger multilateraler Abkommen im Informations- und Kommunikationssektor gefordert. In Punkt XIV wurde zudem die inhaltliche Seite des Problems angesprochen und ein größerer Austausch zwischen den Blockfreien über deren Errungenschaften auf allen Gebieten angemahnt (EA 1973: D 574). Die Forderung nach einer NIIO wurde damit als Teil einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung ( New International Economic Order, NIEO ) konzeptualisiert, die bereits ein Jahr später in eine Deklaration der Generalversammlung der VN übersetzt werden konnte.[Fußnote 19]
Im weiteren Verlauf der Diskussion schufen die Blockfreien mehrere Gremien zur gemeinsamen Bearbeitung von Kommunikations- und Informationsfragen. Dabei war die Konferenz der Informationsminister ( Conference of Ministers of Information of Non-Aligned Countries, COMINAC ) als höchstes Gremium in diesem Bereich der Außenministerkonferenz verantwortlich, die stets zur Vorbereitung der Gipfeltreffen zusammentrat. Die Vorbereitung der COMINAC-Treffen wiederum oblag dem zwischenstaatlichen Rat zur Koordination der Informationspolitik zwischen den blockfreien Staaten. Darunter fächerte sich dann die Arbeit in die Kommunikationsbereiche 'Nachrichtenagenturen' ( Non-Aligned News Agency Pool, NANAPOOL ), 'Radio und Fernsehen' ( Broadcasting Organisation of the Non-Aligned Countries, BONAC ) und 'Telekommunikation' auf (Matthies 1985: 162). Die Gremien auf dieser Ebene bestanden aus Vertretern der nationalen Agenturen und Sendeanstalten sowie anderen Experten. Der weitere Prozeß der Interessenaggregation wird im folgenden am Beispiel der konkreten technischen Zusammenarbeit im Rahmen des NANAPOOL und der inhaltlichen Diskussion um eine NWICO nachgezeichnet. Letzteres soll dabei die Verbindung zur später folgenden Beschäftigung mit der Interessenartikulation in der UNESCO bilden.
Eine der ersten konkreten Maßnahmen führte zur Gründung eines gemeinsamen Nachrichtenpools (NANAPOOL), der unter Führung der jugoslawischen Agentur Tanjug 1975 das herrschende Nachrichtenoligopol im Sinne von self-reliance (Ivacic 1977; UNESCO 1988: 1f.) brechen sollte. Nach einer sechszehnmonatigen Experimentierphase wurde der Pool während der ersten Konferenz der blockfreien Informationsminister 1976 in Neu-Delhi durch die Verabschiedung von Statuten[Fußnote 20] institutionalisiert (Blöbaum 1983: 91; Chandra 1978). Anfänglichen Vorbehalte gegenüber dem Pool zeigte sich in der Abwesenheit mittel- und lateinamerikanischer blockfreier Staaten und der ausdrücklichen Betonung der nationalen Souveränität als überragende Bedingung der Zusammenarbeit.
Auch bei der Planung dieses Pools kam es zu Interessendifferenzen innerhalb der Bewegung, die sich exemplarisch in den Meinungsverschiedenheiten zwischen Indien und Jugoslawien manifestierten (Koschwitz 1977: 36). Während die indische Regierung sich in radikaler, antiwestlicher Rhetorik übte und ihre eigene Staatsagentur Samachar dazu brachte, Verträge mit westlichen Agenturen (UPI) zu kündigen, versuchte Jugoslawien - u.a. mit Blick auf die geplante KSZE-Nachfolgekonferenz 1977 in Belgrad - keinen westlichen Unmut zu provozieren (Ebd.). Da der jugoslawischen Nachrichtenagentur wegen ihrer technologischen Ausstattung eine Führungsrolle zufiel, bildeten sich innerhalb des Pools zudem erhebliche Ungleichgewichte heraus.[Fußnote 21] Darüber hinaus scheiterte der Pool vollständig an seinem Anspruch, "seine Darstellung der Probleme der Dritten Welt in die Industrieländer zu transferieren" (Matthies 1985: 72). Die neu geschaffenen Institutionen erwiesen sich als anfällig gegenüber politikfeldfremden Ereignissen, wie dies etwa der Ausschluß der ägyptischen Agentur MENA wegen der Annäherung des Landes an Israel Ende der 70er Jahre zeigt.
Einzelne Staaten nutzten die Diskussion um eine NWICO zur Verabschiedung von restriktiven Mediengesetzen, die unmittelbar mit den in der UNESCO eingeforderten Rechten in Verbindung gebracht wurden. Auf dem Gebiet der Nachrichtenagenturen und anderer journalistischer Dienste führte dies immer wieder zu zwangsweise herbeigeführten Kooperationsabkommen zwischen der/den nationalen und den international operierenden Agenturen (FR 21/5/1984, 13), zur Einschränkung der Berufsausübung für Journalisten, falls diese nicht in vom Staat geschaffene Berufsvereinigungen eintraten,[Fußnote 22] oder auch zu massiven Visabeschränkungen für ausländische Journalisten (IHT 28/7/1984, 1).
Die Wirkung von strukturell gleichen Ausgangsbedingungen auf den Prozeß der Interessenaggregation der Dritten Welt ist somit nur begrenzt festzustellen, im gemeinsamen Nachrichtenpool bildete sich schnell eine kleine Gruppe dominierender Agenturen heraus (Blöbaum 1983: 96). Auch wenn die internen Differenzen eine gemeinsame Front gegen den Norden nicht per se unmöglich machten, so kann doch angenommen werden, daß das Interaktionsmuster innerhalb der Bewegung weniger dem konsensualen Modell von Krasner (Hypothese 1) entspricht, sondern eher einem Prozeß des splitting the difference oder gar des lowest common denominator ähnelte. Die Abwesenheit der mittel- und lateinamerikanischen Staaten spricht ebenfalls gegen die in Hypothese 1 behauptete Interessenidentität. Der unterstellten konsensualen Interessenformulierung (H 2) widersprechen die Differenzen zwischen den zwei führenden blockfreien Staaten Jugoslawien und Indien. Auch in bezug auf die dritte Hypothese ist das Bild keineswegs so eindeutig, wie es Krasner nahelegt. NANAPOOL wurde als im großen und ganzen marktkonformes Mittel zur Verbesserung der eigenen Wettbewerbssituation gegründet und enthielt keine diskriminierenden Absprachen. Das gemeinsame Vorgehen der Blockfreien bewegte sich vollständig im Rahmen der herrschenden Ordnung. Auch im Rahmen internationaler Foren wurden keine Versuche gemacht, NANAPOOL auf Kosten von Konkurrenzunternehmen zu fördern oder seine Prinzipien zu globalisieren (H 4/5). In den Generalkonferenzen der UNESCO wurde lediglich darauf gedrungen, daß die Organisation finanziell und ideell die Arbeit des Nachrichtenpools unterstützten solle (z.B. 19 C/ Vol. 1 Resolutions, 4.142 a, 53). Damit entfällt für diesen Bereich ebenfalls die Grundlage für eine so weitreichende Folgerung wie sie in Hypothese 6 formuliert wird.
Noch in einer Phase relativ hoher Integration der Blockfreienbewegung wurde im März 1976 in Tunis erstmals die Forderung nach einer NWICO erhoben. Gleichzeitig bemühten sich die Blockfreien mit Hilfe der Schaffung gemeinsamer Gremien das Auftreten in internationalen Organisationen besser abzustimmen.
"Since information in the world shows a disequilibrium favouring some and ignoring others, it is the duty of the non-aligned countries and the other developing countries to change this situation and obtain the decolonization of information and initiate a new international order in information" (zit. nach Nordenstreng et al. 1986: Appendix I, 282).
Der folgenden fünften Gipfelkonferenz der Blockfreien in Colombo 1976 wurde vorgeschlagen, ein Koordinationskomitee für Informationsfragen einzurichten; der Vertreter Indiens wurde als erster Vorsitzender des Komitees gewählt. Einige Delegationen bezweifelten allerdings den Sinn der Schaffung eines weiteren, mit staatlichen Vertretern bestückten Gremiums, das im Vergleich zu Expertengremien über geringere fachliche Kompetenz verfüge (Jankowitsch/ Sauvant 1978 Vol. II: 1561).
Nach der Generalkonferenz der UNESCO in Nairobi 1976, die unter maßgeblicher Beteiligung der blockfreien Staaten und des Sekretariats eine weitere Vertagung der Mediendeklaration erbrachte, kam es zu weiteren Konferenzen der Blockfreien, die allerdings über die Bekräftigung der einmal formulierten Positionen nicht hinausreichten und noch keine Konkretisierung der NWICO brachten. Im Mai 1978 beschloß das Koordinationsbüro der Blockfreien in Havanna eine Empfehlung an alle Mitgliedstaaten, nach der eine möglichst weitgehende Abstimmung ( "present a unified front" ) des Verhaltens in der VN und UNESCO angestrebt werden sollte (UNESCO 1988: 42). Obgleich die Mediendeklaration erst am Ende dieses Jahres verabschiedet wurde und der Widerstand in den westlichen Staaten noch gar nicht geweckt war, stagnierte bereits zu diesem Zeitpunkt der Koordinationsprozeß innerhalb der Blockfreien.
Diese Entwicklung schlug auf der sechsten Gipfelkonferenz der Blockfreien 1979 in Havanna aus unterschiedlichen Gründen unversehens in eine Krise der gesamten Bewegung um (vgl. Willetts 1981). Den Rahmen hierfür bildeten die schwere Weltwirtschaftskrise und die damit einhergehende Verschuldung vieler Staaten, die Verschlechterung des Ost-West-Verhältnisses aufgrund der Invasion Afghanistans durch sowjetische Truppen sowie das Entstehen neuer Konfliktherde zwischen Mitgliedern der Blockfreien (z.B. Iran/Irak). Konkreter Anlaß für die internen Auseinandersetzungen war Kubas Versuch, unter Ausnutzung seines Vorsitzes, die Sowjetunion als 'natürlichen Verbündeten' der Bewegung anzuerkennen (EA 1979: D 653-684), was von der Mehrheit abgelehnt wurde (Williams 1987: 68). Eine wirksame und gemeinsame Interessenformulierung im Kommunikationsbereich wurde damit sehr früh durch politikfeldfremde Auseinandersetzungen überdeckt oder blieb bereits in der Planung stecken. Diese Entwicklung widerspricht den Hypothesen 1 und 2.
Auf der Ebene der Nord-Süd-Auseinandersetzungen um eine NWICO definierte das vierte Treffen des Kooperationskomitees für Informationsfragen der blockfreien Staaten im Juni 1980 erstmals in sechs Punkten die Basis einer Neuen Internationalen Informationsordnung und in vier Punkten deren mögliche Auswirkungen auf die internationalen Politik (vgl. Nordenstreng 1989). Zur unabdingbaren Basis der neuen Ordnung gehörten neben den Prinzipien des Völkerrechts (insbesondere die Selbstbestimmung der Völker, die Gleichheit der Staaten und das Nichteinmischungsgebot in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates), das Recht jedes Staates, sein eigenes unabhängiges Mediensystem aufzubauen und dieses sowie die kulturelle Identität seines Volkes zu schützen. Dies schloß die Einschränkung der Aktivitäten transnationaler Medienkonzerne mit ein. Allen Menschen sei darüber hinaus das Recht zuzusprechen, sich selbst mit Hilfe umfassender und korrekter Informationen ein objektives Bild der Realität zu verschaffen und ihre eigenen Ansichten mittels Kommunikationsmedien frei zu artikulieren. Jede Nation habe danach das Recht, ihre Informationsmittel zur eigenen Interessenartikulation gegenüber den anderen Völkern einzusetzen und die eigenen politischen, moralischen und kulturellen Werte zu verbreiten. Dieser Katalog stellt keine Fortführung der Diskussion dar, sondern reflektiert lediglich einen sehr allgemein gehaltenen Konsens. Dennoch handelte es sich dabei zweifellos um eine grundlegende Herausforderung der herrschenden Ordnung. Eine Realisierung der Vorstellungen hätte die Bildung autoritativ verteilender Regime in einigen Bereichen globaler Kommunikationsbeziehungen zur Folge gehabt, so daß die Hypothese 3 hier eine Bestätigung findet.
Auf dem fünften Treffen des Koordinationsrates für Informationsfragen in Georgetown/Guyana im Mai 1981 wurde erstmals auf die westliche Kritik an der UNESCO und ihrer Kommunikationspolitik Bezug genommen.
"[...] it [der Koordinationsrat, Anm. d. Autors] rejected the simultaneous campaign of destabilization launched by Transnational Power Centers against the International Organisation since the end of 1980 [...].
these global attacks are truly aimed against the implementation of the New International Information Order [...]" (zit. nach UNESCO 1988: 118).
Der nachdrückliche Hinweis des anwesenden Vertreters der UNESCO auf die inzwischen zentrale Rolle des IPDC ( International Programme for the Development of Communication ) veranlaßte die Blockfreien zum gemeinsamen Vorgehen in der konstituierenden Sitzung des IPDC-Rates. Dort sollte die Wahl eines Vorsitzenden aus den eigenen Reihen durchgesetzt werden (UNESCO 1988: 122). Auf der folgenden Gipfelkonferenz der Blockfreien 1983 in Neu-Delhi (Srivastava 1983) setzte sich ein defensive Grundhaltung durch. Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise, des Scheiterns der Nord-Süd-Konferenz von Cancun 1981 (Doyle 1983; Rothstein 1988: 725) und der zuvor angesprochenen internen Schwierigkeiten blieb die Konferenz wenig mehr als der Versuch einer Schadensbegrenzung. Man gab die Forderung nach globalen Verhandlungen unter Einbeziehung mehrer Politikfelder zugunsten einer "Stückwerksstrategie" (Matthies 1984: 41) auf[Fußnote 23] und beschränkte sich in seinen direkten Forderungen gegenüber dem Westen auf Soforthilfen für besonders drängende Probleme (EA 1983: D 362).
Als ein weiterer Faktor, der die ohnehin zähe Beschäftigung mit der NWICO im Rahmen der Blockfreien behinderte, wirkte die erste Evaluierungsphase der bisher erreichten Fortschritte. Im Bericht über die erste nicht-gouvernementale Medienkonferenz (NAMEDIA) blockfreier Journalisten in Neu-Delhi im Dezember 1983 wurde der Erfolg der Maßnahmen im Kommunikationsbereich am Beispiel von NANAPOOL zum Teil erheblich in Zweifel gezogen. "While some delegates see it as an exercise of futility, the general opinion was that it constituted a positive step towards developing an exchange of information against the dominance of Western agencies" (zit. nach Nordenstreng et al. 1986, Appendix I, 309). Auch in bezug auf die Debatte um den free flow wurden nun auch differenziertere Meinungen laut, die die Schuld für das herrschende Ungleichgewicht nicht nur im Norden suchten.
"Some speakers felt there were barriers to the flow of information within the non-aligned world itself. At times, non-aligned leaders paid more attention to the media persons from the West than to local journalists [...], quite apart from the reliance placed by some media leaders on reports from Western sources" (Ebd.).
Obgleich es sich hierbei nicht um Aussagen staatlicher Akteure handelt, nährt dies Zweifel an der strukturell bedingten Geschlossenheit des Akteurs "Dritte Welt" (H 1/2).
Das siebte Treffen des zwischenstaatlichen Rates zur Koordination von Information und Kommunikationsfragen der blockfreien Staaten versicherte im Januar 1984, "that the New Order would not chain freedoms and would never be an enemy to democracy" (UNESCO 1988: 192). Auf der im selben Monat folgenden zweiten Konferenz der blockfreien Informationsminister (COMINAC) verlangte der indonesische Staatschef Suharto in der Frage der Kommunikationspolitik eine "realistischere Haltung, ohne sich von den ursprünglichen Zielen abbringen zu lassen" (zit. nach AdG 27383 A). Ein von Nicaragua und Kuba eingebrachter Antrag auf Verurteilung der USA wegen ihres Austrittes aus der UNESCO wurde abgelehnt. Das Schlußdokument brachte lediglich das Bedauern der Konferenzteilnehmer über diese Entwicklung zum Ausdruck und reflektiert einen Rückzug auf sich wiederholende Aufforderungen zu einer verstärkten Süd-Süd-Kooperation als Minimalkonsens (epd-Entwicklungsdienst 3/1984, 4).
In den folgenden Treffen 1985 und 1986 wurde insbesondere die Bestätigung des Erreichten und die fortgesetzte Unterstützung der UNESCO betont (UNESCO 1988: 205ff.); eine Weiterentwicklung oder Konkretisierung der eigenen Position bezüglich einer NWICO fand nicht statt. Im Bereich der Medien wurde 1987 auf der Konferenz der blockfreien Informationsminister in Harare dieser Umschwung schließlich abgeschlossen und die Realisierung einer NWICO nur noch von Initiativen im Sinne einer collective self-reliance abhängig gesehen (Krabbe 1990: 425).[Fußnote 24] "Angesichts dieser Situation ging es in Harare nicht in erster Linie um neue Forderungen, sondern um verstärkte Anstrengungen, der Verwirklichung der alten Forderungen doch noch näher zu kommen" (Fritsche 1986: 55).
Auf dem neunten Gipfeltreffen der Blockfreien 1989 in Belgrad rückten neue Themen wie etwa der Umweltschutz und dessen mögliche Rückwirkungen auf die staatliche Souveränität als ein Hauptanliegen der Bewegung stärker in den Mittelpunkt (EA 1989: D 636). Hingegen büßten Fragen der internationalen Informations- und Kommunikationspolitik deutlich an Gewicht ein. Zugleich beschleunigte sich gerade während der 80er Jahre die Ausdifferenzierung der technischen Möglichkeiten auch innerhalb der Blockfreien. Während insbesondere lateinamerikanische und arabische Staaten inzwischen "über relativ hochentwickelte Mediensysteme verfügen" (Krabbe 1990: 429) und Indien weltweit zum quantitativ größten Filmproduzenten aufstieg, blieb die Situation etwa in den Ländern südlich der Sahara unverändert schlecht. Damit führte die sich beschleunigende ungleiche technologische Entwicklung in den Ländern des Südens zu einer weiteren Verkleinerung des ohnehin geringen Potentials für gemeinsame Interessenformulierung (H 1/2).
Die hier nachgezeichnete interne Diskussion über eine NIIO belegt den Versuch einer Koordination mit dem Ziel der besseren Durchsetzung eigener Interessen. Damit ist die Grundvoraussetzung für eine Beschäftigung mit diesem Prozeß erfüllt. Als zweite Folgerung kann festgehalten werden, daß es sich nicht um Verhandlungen im definierten Sinne handelte, sondern um einen Koordinationsprozeß zur Abstimmung gemeinsamen Vorgehens. Eine thematische Schwerpunktsetzung im Hinblick auf die Verhandlungen in den Gremien der UNESCO fand nicht statt. Dies widerspricht prinzipiell nicht den ersten beiden Hypothesen, denn auch diese lassen aufgrund der angenommen Interessenidentität nicht notwendigerweise umfangreiche Absprachen erwarten. Allerdings widerspricht der reale Verlauf der Koordination dieser Interpretation. Die Gemeinsamkeiten blieben äußerlich und drückten sich infolgedessen vornehmlich in Wort und Schrift aus, sie boten keine genügende Grundlage für eine fortdauernde Mobilisierung.
Eine wichtige Rolle für die Formulierung der Politik der Blockfreien in den internationalen Beziehungen spielte die allgemeine Situation der Bewegung und deren Einbettung in das Ost-West-Verhältnis. Die anfänglich ungetrübte Interessenkoalition mit den Staaten des sowjetischen Einflußbereichs wurde 1978/1979 durch den Versuch Kubas, eine Annäherung an die Sowjetunion herbeizuführen, massiv gestört. Bereits bevor die westlichen Staaten aktiv gegen eine NWICO mobilisierten, verlor der Prozeß der Interessenaggregation an Dynamik. Die fehlende Schwerpunktsetzung und eine mangelnde strategische Planung, die im Prinzip lediglich in der Aufforderung zur Einheit bestand, spricht eher für einen additiven Prozeß der Interessenaggregation, der keine dauerhaft hohe Integration der beteiligten Staaten unter einem gemeinsamen Ziel erkennen läßt. Diese Zweifel an den ersten beiden Hypothesen werden durch die Untersuchung des Teilbereiches 'Nachrichtenagenturen' untermauert. Die Blockfreien unternahmen keinen ernsthaften Eingriff in die liberale Marktordnung, sondern strebten die Verbesserung ihrer Position vor allem über die Bündelung der eigenen Kräfte innerhalb des bestehenden Systems an. Ein wie auch immer gearteter Versuch des Ausschlusses der vier marktbeherrschenden Agenturen aus den nationalen Märkten kann zwar für einzelne Staaten, nicht aber als gemeinsame Politik festgestellt werden. Trotz einer strukturell aussichtslosen Situation im Nachrichtensektor beschränkte man sich auf Schritte im Sinne einer collective self-reliance . Damit kann Hypothese 3 in diesem Bereich nicht bestätigt werden, wohl aber im Hinblick auf den gesamten Forderungskatalog, der im Rahmen der Bewegung der Blockfreien formuliert wurde.
Bezüglich der Hypothesen 4, 5 und 6 lassen sich nur wenige Aussagen aus diesem Abschnitt ableiten, da hier nicht die Interaktion mit den westlichen Staaten thematisiert wurde. Aus der teilweisen Bestätigung der dritten Hypothese folgt lediglich, daß die Mindestvoraussetzung für alle drei Hypothesen gegeben ist: es gab Ansätze zur Koordinierung eines gemeinsamen Vorgehens der Dritten Welt, dessen Ziel auch der Wandel internationaler Institutionen war. Allerdings verhielten sich die Staaten des Südens nicht in allen Bereichen entsprechend ihrer vorgeblich strukturell determinierten Situation. Die Interessenaggregation verfehlte schließlich aber das eigentliche Ziel der Entwicklung und Umsetzung einer gemeinsamen Strategie.
Grundsätzlich handelt es sich sowohl bei den internen Treffen der blockfreien Länder als auch bei den Generalkonferenzen der UNESCO um intergouvernementale Verhandlungen im Rahmen internationaler Konferenzdiplomatie. Allerdings steht hinter den Generalkonferenzen der UNESCO eine voll ausgebildete internationale Organisation, deren Institutionalisierungsgrad weit über die Bewegung der Blockfreien hinausgeht. Dies gilt insbesondere für die zwei nach der Generalkonferenz wichtigsten Organe, den Exekutivrat und das Sekretariat. Diese beiden Gremien sorgen für Kontinuität und Effizienz, indem sie die Vor- und Nachbereitung der Generalkonferenz als wichtigstes Gremium der Organisation übernehmen. Diese erhöhte Effizienz schränkt zwangsläufig den Einfluß einzelner Mitgliedstaaten ein, insbesondere wenn diese über nur beschränkte Ressourcen zur Interessenvertretung außerhalb der Generalkonferenz verfügen.
Diese institutionellen Unterschiede erlauben es der UNESCO, eine im Vergleich zu der Bewegung der Blockfreien potentiell unabhängigere Rolle gegenüber ihren Mitgliedstaaten zu spielen. In Anlehnung an Archer (1992) wird hier beiden Organisationen die Funktionen Arena und Instrument zugesprochen, während nur die UNESCO aufgrund ihres Aufbaus auch die Rolle eines Akteurs in den internationalen Beziehungen spielen kann (Archer 1992: 135ff.). Wie bereits in Kapitel 3 gezeigt werden konnte, ist diese Unterscheidung von großer Bedeutung für die Evaluierung von Hypothese 1, da Krasner eine nur sehr begrenzte selbständige Rolle von internationalen Institutionen anerkennt. Zumindest für die Anfangsphase der Debatte konnte festgestellt werden, daß der Akteur UNESCO eine größere Rolle spielt als dies von Krasner zugestanden wird. Sie ist nicht nur im Bestand robust, sondern erweist sich auch aktiv im Sinne ihres Auftrags.
Nach einigen Thematisierungsversuchen auf Regionaltreffen der UNESCO wurde erstmals 1969 die Forderung formuliert, daß "größere Ausgewogenheit im internationalen Fluß von Bildnachrichten, besonders im Hinblick auf Maßnahmen zur Sicherstellung des Nachrichtenflusses in Entwicklungsländern und aus und zwischen ihnen" (zit. nach Petzsch 1987: 18) herrschen sollte. Ein Jahr später erreichte diese Diskussion die 16. Generalkonferenz der UNESCO, in deren Beschlüssen der Generaldirektor beauftragt wurde, die Mitgliedstaaten bei der Formulierung ihrer eigenen Kommunikationspolitik im Rahmen seiner Möglichkeiten zu unterstützen. Ausgangspunkt der Diskussion war somit die Vorstellung, daß internationale Organisationen besonders geeignet und aufgerufen sind, Staaten bei der Erfüllung ihrer Funktionen nach Innen wie nach Außen zu helfen.
Bereits auf der nächsten Generalkonferenz 1972 in Paris forderte ein sowjetischer Resolutionsentwurf für eine 'Massenmedien-Deklaration'[Fußnote 26] die Vorbereitung einer draft declaration concerning the fundamental principles governing the use of mass media with a view to strengthening peace and international understanding and combating war propaganda, racialism and apartheid . Erstmals wurde in der Programmkommission explizit von seiten der Dritten Welt ein ausgeglichener Fluß der Informationen und eine Qualifizierung des Prinzips free flow durch die Verantwortung des Journalisten für seine Arbeit gefordert. Hauptstreitpunkt war aber die vorliegende Satellitendeklaration,[Fußnote 27] deren Notwendigkeit von westlicher Seite mit dem Einwand bestritten wurde, daß "ausreichender Schutz durch die Regelungen der World Administrative Radio Conference for Space Telecommunications , veranstaltet im Rahmen der ITU, zusammen mit freiwilligen Kooperationsabkommen regionaler Übertragungsorganisationen gewährleistet ist" (17 C/Vol. 2 Reports, 111; eig. Übersetzung). Westliche Staaten zweifelten mit dieser Begründung die Zuständigkeit der UNESCO an, konnten sich aber weder in der Kommission noch im Plenum durchsetzen (17 C/ Vol. 2 Reports, 122).
Die Diskussion des ersten Entwurfes für eine Mediendeklaration auf der 18. Generalkonferenz 1974 blieb ohne Einigung. Bereits zu diesem Zeitpunkt waren alle wichtigen Argumente ausgetauscht. Die Debatte verschärfte sich in den folgenden Jahren vor allem aufgrund von Auseinandersetzungen über den Palästina-Konflikt und das Haushaltswachstum.
"Opinion was largely in favour of the concept of free flow but within the framework of freedom and equality of access both to media and to information. Others felt that the concept of free flow was out-dated and belonged to the 19th century. Several delegates spoke in favour of complete freedom of the flow of information" (18 C/ Vol. 2 Reports, 123f.).
"Speakers from developing countries particularly stressed the need for a multi-directional flow of information. They felt that the cultural integrity of their countries required freedom from undue influence of large foreign media organizations serving private interests and often monopolistic in character" (18 C/ Vol. 2 Reports, 127).
Besondere Aktivitäten legte die indische Delegation in der UNESCO an den Tag, die überdurchschnittlich häufig an der Einbringung von Resolutionsentwürfen zur NWICO beteiligt war. Darüber hinaus verwies das Land u.a. auf die Probleme der Dritten Welt in der Beschaffung von Papier und auf den Preisanstieg auf dem Weltmarkt. Indien forderte deshalb den Generaldirektor auf, ein globales Programm zu initiieren, das in konkreten Schritten die Versorgung der Entwicklungsländer mit diesem Rohstoff sicherstellte (18 C/ Vol. 2 Reports, 124 und 18 C/ DR.152/ Rev.). Als Teil dieses Programms wurde der Ausbau von Produktionskapazitäten, die Reduktion des Papierverbrauches der Industriestaaten um 5% und die gleichzeitige Überlassung dieser Menge an die Entwicklungsländer gefordert. Ebenfalls sollten sich die Preise in Zukunft an der Zahlungsfähigkeit der (ärmeren) Kunden orientieren und nicht dem freien Spiel der Marktkräfte unterworfen sein. Die westlichen Staaten verwiesen hingegen darauf, daß dieses Thema im Kompetenzbereich der FAO (Food and Agriculture Organisation) läge und angesichts der geringen Ressourcen der UNESCO nicht parallel in zwei VN-Organisationen bearbeitet werden sollte (18 C/Vol. 2 Reports, 129). Diese hier exemplarisch aufgezeigte Initiative Indiens läßt sich durchgehend beobachten (vgl. 4.2.) und widerspricht Krasners These, nach der Staaten mit ausreichend großem Binnenmarkt nur zurückhaltend an der NWICO-Debatte teilnehmen (H 1).
Zum ersten Eklat kam es schließlich während der Beratungen einer Gruppe von Regierungsexperten im Dezember 1975, deren Aufgabe es war, einen Deklarationsentwurf für die Generalkonferenz in Nairobi 1976 zu erstellen.[Fußnote 28] Äußerer Anlaß war dabei die von Jugoslawien eingebrachte Forderung nach der Aufnahme der Resolution 3379 der VN-Generalversammlung in die Präambel der Mediendeklaration, in der Zionismus und Rassismus gleichgesetzt werden,[Fußnote 29] doch entzündeten sich auch an verschiedenen Artikeln des Vorentwurfes heftige Debatten. Insbesondere Artikel XII, der eine Verantwortung jedes Staates für die "Tätigkeiten aller Massenmedien in seinem Hoheitsgebietes im internationalen Bereich" (Heacock 1977: 56) vorsah, stieß auf heftigen Widerstand. Nachdem im Verlauf des Treffens mit 36 gegen 22 Stimmen bei sieben Enthaltungen die gegen Israel gerichtete Ergänzung der Präambel durchgesetzt wurde, verließen alle westlichen Industriestaaten die Konferenz.[Fußnote 30] Ohne deren Beteiligung wurde ein Deklarationsentwurf verabschiedet und an die 19. Generalkonferenz weitergeleitet.[Fußnote 31]
Nach diesem Eklat kam es in Nairobi zu keiner weiteren Eskalation, da der im Jahr zuvor ohne Mitwirkung des Westens erstellte Deklarationsentwurf zunächst vom Sekretariat zur weiteren Beratung zurückgezogen wurde. Doch auch ein überarbeiteter Entwurf, in dem sowohl die Bezugnahme auf Resolution 3379 als auch Artikel XII ersatzlos gestrichen worden waren, fand in der zuständigen Kommission weder die Zustimmung der westlichen Delegationen, noch zeigten sich viele blockfreie Staaten geneigt, das Dokument zu unterstützen. Einzig die sozialistischen Staaten versuchten weiterhin die Diskussion zu polarisieren. Hierfür war zu einem kleinen Teil der Wunsch vieler afrikanischer Staaten nach einem möglichst konfliktfreien Konferenzverlauf verantwortlich (Heacock 1977: 59),[Fußnote 32] zu einem größeren Teil aber reflektierte dieses Verhalten das Unbehagen über ein offensichtlich nicht konsensfähiges Dokument. Daß die Blockfreien diese äußerst günstige Situation für eine zumindest deklaratorische Änderung der liberalen Ordnung verstreichen ließen, nährt erhebliche Zweifel an deren Willen, durch meta-power behavior den grundsätzlichen Rahmen der Diskussion zu ändern. Die neorealistische Interpretation läßt an diesem Punkt eine umfangreichere Konfrontation und ein konsequenteres Vorgehen der Blockfreien erwarten. Demgegenüber waren sich die Mehrheit der Staaten mit dem Sekretariat darin einig, daß ein solches Vorgehen die grundlegende Norm der Universalität verletzt hätte (Finkelstein 1988: 401f.). Eine weitere Beratung konnte von westlicher Seite mit der Begründung verhindert werden, daß lediglich eine Minderheit (41 der ursprünglich 85 teilnehmenden Delegationen) für den Entwurf gestimmt hatte (19 C/ Vol. 3, Proceedings § 76, 226ff.).
Eine Mehrheit der Entwicklungsländer sprach sich mit den sozialistischen Staaten für eine solche Deklaration aus, verlangte aber, im Gegensatz zur sowjetisch geführten Staatengruppe, substantielle Verbesserungen des Inhalts und weitere Verhandlungen bis zu einem allseits akzeptierten Kompromiß. Dieselbe Koalition konnte sich in Verbindung mit dem Sekretariat durchsetzen und erreichte eine Zusammenfassung der zuvor separaten Hauptprogramme Kultur und Kommunikation . Diese Maßnahme reflektierte die Mehrheitsmeinung, demzufolge die "Mittel der Kommunikation und deren kultureller Inhalt"[Fußnote 33] nicht voneinander zu trennen waren. Im Sinne der dritten Hypothese handelt es sich hier um eine begrenzte Durchsetzung südlicher Ordnungsvorstellungen.
In den zusätzlich verabschiedeten Resolutionen waren ebenfalls Erfolge der Entwicklungsländer zu erkennen, denn dort wurde eine Fortsetzung der bisherigen Politik im Kommunikationssektor festgeschrieben und als Ziel ein "freier und ausgewogener Fluß von Information ( free and balanced flow of information )" bestimmt. Diese Formulierung hatte damit den uneingeschränkten free flow ersetzt. Die gleiche Resolution forderte die Erstellung von Verhaltensregeln für Journalist/innen, vermehrte Forschung in bezug auf die Rolle der Kommunikation in einer Gesellschaft und die Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Formulierung ihrer nationalen Medienpolitik. Damit waren wesentliche Punkte der NWICO in einem Dokument der UNESCO zusammengefaßt und Politik der Organisation geworden, obgleich es den Begriff offiziell noch nicht gab. Dieser Teilerfolg unterstützt die dritte Hypothese und belegt den ernsthaften Versuch der Bewegung der Blockfreien, ihre Forderungen in internationalen Foren zu vertreten.
Der Generaldirektor wurde darüber hinaus aufgefordert, den Aktivitäten der Blockfreien "ganz besondere Aufmerksamkeit zu schenken" (19 C/ Vol. 1 Resolutions, 4.142 a, 53) und mit dem gerade gegründeten NANAPOOL zu kooperieren. Hinzu kamen einzelne Forderungen nach konkreten Studien zum ungleichgewichtigen Nachrichtenaustausch, ausformulierte Vorschläge zur Senkung von Nachrichtenübermittlungskosten sowie der Wunsch, die Haushaltsmittel in diesem Bereich generell und großzügig aufzustocken, der inbesondere auch von nordeuropäischen Staaten mit eingebracht wurden.[Fußnote 34] Gleichzeitig mit dem nochmaligen Aufschub der Abstimmung über eine Mediendeklaration wurde die International Commission for the Study of Communication Problems unter der Leitung von Sean MacBride ins Leben gerufen und damit beauftragt, eine umfassende Studie zu den globalen Kommunikationsproblemen zu erstellen (Singh/Gross 1981). Dieser Beschluß löste zwar nicht die unüberbrückbaren Differenzen auf, verschob aber die endgültige Entscheidung um zwei Jahre.
Der abschließende Prozeß der Verabschiedung der Deklaration war gekennzeichnet durch intensive Verhandlungen über einzelne Formulierungen des Textes. Da in dieser Diskussion zuvor kein Konsens herzustellen war, wurde der erfolgreiche Abschluß der Gespräche durch die Hinzunahme anderer Verhandlungsgegenstände in Gestalt von ökonomischen Forderungen des Südens ermöglicht. Zwei Monate vor der 20. Generalkonferenz 1978 in Paris legte Generaldirektor M'Bow den Mitgliedsstaaten eine vom Sekretariat erarbeitete Neufassung der Mediendeklaration vor, zu der von westlicher Seite ein Gegenentwurf erarbeitet wurde. Der Vorschlag des Sekretariats nennt in seiner Präambel (Punkt 14) nicht mehr direkt die VN-Resolution 3379, die im Dezember 1975 noch zum Eklat zwischen West und Süd geführt hatte. Der Entwurf enthielt keine Forderungen mit rechtlich bindendem Charakter zur Sicherung eines ausgewogeneren Flusses von Information, sondern beschränkte sich auf das moralische Einklagen dieses Zieles (Berwanger 1978: 47).
Wie schon auf der vorhergehenden Generalkonferenz wurde die außerplanmäßige Erhöhung der Haushaltsmittel im Kommunikationsbereich - diesmal um 10% - gefordert (20 C/ DR. 17). Resolutionsentwürfe aus den Reihen der Entwicklungsländer verwendeten erstmals die Formulierung 'new world information order' [Fußnote 35] und wiederholten die Forderungen der vorhergehenden Generalkonferenz, insbesondere die untrennbare Einheit der eigenen Debatte mit der Forderung nach einer NIEO (20 C/ PLEN/ DR. 9, eingebracht von Afghanistan, Algerien, Jugoslawien, Kuba und Sudan). Die Diskussion über die Mediendeklaration wurde vertagt, um dem Sekretariat nochmals Zeit zu geben, eine durch weitere Konsultationen mit den Mitgliedstaaten revidierte und kompromißfähige Fassung zu erstellen. Im Verlauf dieses Prozesses kam es auch zu direkten Verhandlungen zwischen den westlichen Staaten unter Führung der USA und den Entwicklungsländern, die aufgrund finanzieller Zusagen des Westens zum Erfolg führten.
"In negotiating the proposed declaration, the United States promised developing countries about $ 40 million in financial and technical communications assistance, and a declaration acceptable to the West won consensus approval. Later, U.S. officials said that, because of budgetary constraints, they had only been able to provide $ 11.5 million, mostly in rural satellite projects" (IHT, 1/11/1980, 2).
Am 22. November 1978 wurde die Deklaration über die Grundprinzipien für den Beitrag der Massenmedien zur Stärkung des Friedens und der internationalen Verständigung, zur Förderung der Menschenrechte und zur Bekämpfung von Rassismus, Apartheid und Kriegshetze (20 C/ Vol. 1 Resolutions, 4.19)[Fußnote 36] in der Kommission diskutiert[Fußnote 37] und verabschiedet. Unter Vorbehalten stimmten die westlichen Staaten schließlich auch im Plenum der Deklaration zu,[Fußnote 38] in der in elf Artikeln eine Kompromißformel zwischen einer noch unbestimmten NWICO und dem herrschenden Prinzip des free flow festgehalten wurde.
Dabei gelang es dem Westen, in der Präambel den einschlägigen Absatz der Resolution 59 (I) der VN-Generalversammlung von 1946 ebenso zu plazieren wie ein Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948. Im Gegenzug wurden die Bemühungen der Entwicklungsländer um eine "new, more just and more effective world information and communication order" anerkannt. In Artikel I wurde der 1976 erkämpfte Begriff 'free and balanced flow of information' wieder herausgenommen und durch 'free flow and a wider and better balanced dissemination of information' ersetzt.
Es fällt generell auf, daß stets nur von einem 'Beitrag' ( contribution der Massenmedien zur Lösung dieser oder jener Probleme gesprochen wird, niemals aber direkte Aufforderungen oder Verantwortlichkeiten formuliert werden. Inhaltlich werden zwar die Rechte der Völker auf Selbstbestimmung, der ungleichgewichtige Informationsfluß, die Rolle der UNESCO und die NIEO angesprochen, doch eine Reihe von Themen bleiben unerwähnt. Als Beispiel wird dabei auf die Diskussion über einen speziellen Status für Journalisten und das dafür erforderliche globale Lizensierungssystem verwiesen. Die Deklaration nahm ebenfalls keinen Bezug auf die Satellitendeklaration von 1972 und ist somit im Ganzen ein inkonsistentes Sammelsurium verschiedener Ordnungsvorstellungen.[Fußnote 39] Nachdem der Westen zu Beginn die Zuständigkeit der UNESCO angezweifelt hatte und einmal zum Mittel des Boykotts griff, verließ er später diese prinzipielle Ebene und erreichte unter Zuhilfenahme seiner finanziellen Ressourcen im Rahmen der Mediendeklaration einen Kompromiß, der die wesentlichen eigenen Vorstellungen reflektierte. In dieser zentralen Debatte über eine NWICO vertraten die Staaten des Südens im Sinne von Hypothese 3 ein signifikant von westlichen Vorstellungen abweichendes Ordnungskonzept. Allerdings lehnten insbesondere mittel- und lateinamerikanische blockfreie Staaten diese Position ab. Interessenidentität war damit ein schwierig zu realisierendes Ziel von Koordinationsbemühungen, im Gegensatz zu den beiden ersten Hypothesen aber nicht Ausgangspunkt gemeinsamen Handelns. Zweifellos ermöglichte erst die Existenz einer Mehrheit von Dritte-Welt-Staaten in der UNESCO und eine relativ konsistente Argumentation die angesprochene Thematisierung (H 4). Das Ergebnis entspricht im wesentlichen der Hypothese 5, da diese Mediendeklaration die alte Ordnung weder formal noch inhaltlich ersetzen konnte.
Die weitere Diskussion in der UNESCO erfolgte, überschattet durch den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan, auf der Grundlage des MacBride-Berichtes (UNESCO: 1980b), der auf der 21. Generalkonferenz 1980 in Belgrad vorgelegt wurde. Obgleich die Diskussion über die Grundlagen einer NWICO noch fortgeführt wurde, war bereits deutlich, daß das IPDC eine Rückgewinnung der Initiativrolle für den Westen unter der Führung der USA bedeutete (21 C/ Vol. 2 Reports, 165; Block 1989). Die Blockfreien fanden sich zunehmend in einer defensiven Position wieder und konnten im Hinblick auf eine Fortsetzung der Diskussion lediglich den Vorschlag zu einer NWICO-Deklaration in eine Resolution umsetzen (21 C/ DR. 385; 21 C/ Vol. 2 Reports, 167). Auf den folgenden Generalkonferenzen wurde die Arbeit an einer solchen Deklaration aber nicht wieder aufgenommen.
An dieser Stelle, d.h. zu Beginn der 80er Jahre, kann sowohl zeitlich als auch inhaltlich der Umschlagpunkt der NWICO-Debatte festgemacht werden. Auch der MacBride-Bericht führte als letzte große Studie über die internationalen Kommunikationsbeziehungen zu keiner Annäherung der gegensätzlichen Positionen, und die Diskussion konnte schon lange nur noch bereits Bekanntes wiederholen. Das kurzfristige Einlassen des konzeptionslosen Westens auf die Versuche der Blockfreien die NWICO als neue Grundlage der Debatte zu etablieren, wurde abgelöst durch das offensive Einbringen des International Programme for the Development of Communication (IPDC).
Bereits auf der 20. Generalkonferenz in Paris 1978 war das Sekretariat - auf Initiative der Vereinigten Staaten - durch eine Resolution beauftragt worden, "die Regierungsvertreter zu einer Planungskonferenz zusammenzurufen, die einen institutionellen Mechanismus für systematische Konsultationen über die Aktivitäten, die Bedürfnisse und die Programme festlegen und vorschlagen sollte, insoweit sie sich auf die Entwicklung der Kommunikation beziehen" (NZZ 18/7/1981, 9).[Fußnote 40] Diese Initiative mündete auf der folgenden Generalkonferenz in Belgrad in der Gründung des IPDC (21 C/ Vol.1 Resolutions, 4/21, 391ff.). Unter den 14 Hauptpunkten des Programms waren die "Förderung der Kommunikations-Infrastrukturen der Entwicklungsländer entsprechend ihren Bedürfnissen und Plänen, die Unterstützung regionaler Kooperation, die Bereitstellung von Beratungsdiensten und die Koordination aller auf die Kommunikationsentwicklung ausgerichteten Bemühungen" (Petzsch 1987: 28; Harley 1989).
Obgleich der Westen dieses Programm als Ersatzrahmen für die NWICO-Debatte initiiert hatte, kam dessen Umsetzung kaum voran. Dies lag zum einen an der finanziellen Zurückhaltung des Westens, zum anderen aber auch an unterschiedlichen Vorstellungen über die Beziehungen von Geber- und Empfängerländern innerhalb des Programms. Während die Staaten der Dritten Welt eine Art internationale Organisation mit repräsentativen Gremien, Mehrheitsentscheidungen und quasi-verpflichtenden Beiträgen aus dem UNESCO-Haushalt vorschlugen, wollte der Westen zunächst lediglich ein clearing house , durch das Sponsoren eines Projektes mit möglichen Empfängern zusammengebracht werden. Damit wäre ein maximaler Einfluß der Geber sichergestellt, da neben der multilateralen Institution UNESCO ein vorwiegend bilateraler Mechanismus zur Verteilung der Mittel installiert worden wäre. Letztendlich kam es bei der vorläufigen Fassung der Statuten durch die Generalkonferenz zu einer Kompromißlösung, die die Einrichtung eines der UNESCO verantwortlichen zwischenstaatlichen Verwaltungsrates mit 35 Mitgliedern an der Spitze des IPDC vorsah (21 C/ Vol. 1 Resolutions, 4/21, 397ff.).[Fußnote 41] Mit der Einführung des IPDC büßte die Bewegung der Blockfreien endgültig ihre aktive Rolle in der Diskussion über die internationalen Informations- und Kommunikationsbeziehungen ein. Für das neue Programm wurde im Sinne von Hypothese 4 eine der Generalkonferenz der UNESCO ähnlichen Struktur gefordert, die den Entwicklungsländer einen möglichst großen Einfluß garantierte.
Bei der konstituierenden Sitzung des IPDC-Rates im Juli 1981 wurde der Umschwung der blockfreien Position zur NWICO deutlich und führte im Verlauf der Konferenz zu internen Konflikten zwischen Mitgliedern der Bewegung. Während in der 1980 verabschiedeten Resolution zur Schaffung des IPDC die NWICO noch explizit erwähnt worden war (21 C/ Vol. 1 Resolutions, 4/21, 391), stießen Versuche des Iraks und Kubas, den Begriff auch in den Dokumenten des IPDC-Rates zu verankern, bei einer Mehrheit der Entwicklungsländer auf Ablehnung und blieben erfolglos (IHT 23/7/1981, 4). Aufgrund des schwachen Zustroms von Finanzmitteln und der daraus folgenden Enttäuschung über nicht eingehaltene Versprechen setzten sich, trotz einer moderateren Haltung der Blockfreien, die bekannten Auseinandersetzungen zwischen Nord und Süd weiter fort. "Ein zähes Ringen um die Geschäftsordnung gab Aufschluß über das Maß von Mißtrauen, das die Staatengruppen in der Frage der Informationsfreiheit entzweit" (FR 20/7/1981, 9). Als Folge des Verlustes von Kontrollmöglichkeiten wurde die Konsensbildung weiter erschwert (H 2), da die in der Vergangenheit gestarteten Versuche der Koordination nur geringe Erfolge gezeigt hatten. Andere, individuell gestaltete Strategien gewannen so wieder an Attraktivität. Bei der weiteren Ausgestaltung des IPDC konnten sich die Entwicklungsländer mit einer möglichst weitgehenden Beschränkung auf die multilaterale Vergabe von Geldern nicht durchsetzen. Damit buhlte jedes Land der Dritten Welt auf sich allein gestellt um die Gunst der wenigen Geber. Als Gemeinsamkeit blieb kaum mehr als die Kritik an der geringen Mittelaustattung des neuen Programms.
Zu Beginn des Jahres 1982 setzte der Rückzug der Dritten Welt auch in anderen Bereichen der NWICO-Debatte ein. Dies gilt insbesondere für das in Paris stattfindende Expertentreffen zum Themenbereich Status der Journalisten/Recht auf Kommunikation , der bisher zu den am heftigsten umstrittenen Punkten zählte. Die Konferenz blieb aufgrund unüberbrückbarer Differenzen ohne Schlußkommuniqué und bewirkte die faktische Beendigung der Diskussion zu diesem Thema.[Fußnote 42] Diese Entwicklung reflektierte auch einen "Stimmungsumschwung in einer Reihe blockfreier Staaten", die es müde waren, "in endlosen ideologischen Debatten über die unterschiedliche Auslegung der beiden Komplementärbegriffe 'Freiheit' und 'Verantwortung' jene Zeit zu vertrölen, die dringend benötigt würde, um die Infrastruktur ihres Informationswesens auszubauen, [...]" (NZZ 18/7/1981, 9).
Noch weiter ging das Sekretariat der UNESCO in seinen Bemühungen, notfalls mit Rückgriff auf den status quo ante die Auseinandersetzungen zu einem Ende zu bringen. "At the same time, informed Western diplomats said Mr. M'Bow had assured them if no consensus emerged, he was prepared to drop this entire aspect of the debate" (Ebd.). Eine ähnliche Wirkung beabsichtigte die Konferenz von Talloires Voices of Freedom im Mai 1981, auf der Medienvertreter aus 20 überwiegend westlichen Staaten gegen die NWICO Front machten und erstmals zu einer gemeinsamen Position fanden (IHT 20/5/1981, 1). 1981 wurde damit zum Endpunkt der Diskussion über eine inhaltliche Füllung der NWICO.
Bezeichnend für die sich wandelnde Situation war die auf der vierten außerordentlichen Generalkonferenz 1982 vollzogene Trennung der Hauptprogramme Kultur und Kommunikation , womit sich die westlichen Staaten in dieser formalen Frage nach sechs Jahren wieder durchsetzen konnten. Zudem führte die schwere finanzielle Krise der Organisation, die Anlaß dieses außerordentlichen Treffens war, eher zu einem Übergewicht der Hauptgeldgeber und ihrer Positionen. Alle bisherigen Diskussionen hatten außer der anfänglichen Übereinstimmung in bezug auf das herrschende Ungleichgewicht im Nachrichtenfluß keine neuen Gemeinsamkeiten erbracht. Im Gegenteil, in den westlichen Staaten übten mediennahe Interessengruppen erheblichen Druck auf ihre jeweiligen Regierungen aus, die daraufhin eine Diskussion der Probleme im Zusammenhang mit einer NWICO zunehmend verweigerten.
"[...] some speakers expressed misgivings as to the possibility of achieving a consensus, or considered that it would be pointless to seek to establish norms or even to define universally acceptable principles in a field that was so sensitive and so open to differences of interpretation" (4 XC/ Reports, 34ff.).
Hinzu kam, daß die langjährige Konzentration auf das Problem der Massenmedien angesichts sich rapide erweiternder Kommunikationskanäle als zunehmend unangemessen angesehen wurde.
"Care should be taken to avoid an approach that was unduly biased towards the mass media at a time when new forms of technology were, in fact, introducing renewed opportunities for interactive, interpersonal and horizontal communication [...]" (4 XC/ Reports, 35).
Auch auf der 22. Generalkonferenz 1983 in Paris wurden weitere Konfrontationen vermieden. Die NWICO wurde als 'evolving and continuous process' (22 C/ Vol. 1 Resolutions, 3.1 und Petzsch 1987: 31) weiter in ihrer Reichweite beschränkt. Die Diskussion um eine Weiterentwicklung der Mediendeklaration in ein zu kodifizierendes Normenwerk mit Ordnungscharakter, wurde nicht fortgeführt.
"The American Departement of State noted in its annual report to Congress in February 1983, 'Since the February 1981 meeting, the subject of protection of journalists has disappeared from UNESCO agendas', and UNESCO 'has debated but has not implemented policies or procedures of an anti-free-press nature" (Beigbeder 1987: 29).
Dennoch kam es bei den Beratungen über das Anwachsen des Haushaltsvolumens zu erheblichen Differenzen zwischen den USA und einigen westlichen Staaten auf der einen Seite und der Mehrheit der Mitgliedstaaten der UNESCO auf der anderen Seite. Man einigte sich schließlich unter der Führung von M'Bow auf einen durch die nordischen Staaten angeregten Kompromiß zwischen dem ursprünglichen Antrag auf etwa 10% Wachstum und der Forderung des Westens nach einem Einfrieren des Haushaltes. Dieser umfaßte damit ein Summe von US-$374,4 Millionen; $12 Mio. weniger als der Exekutivrat zunächst beschlossen hatte und $14 Mio. mehr als der Westen ursprünglich zuzugestehen bereit war (Finkelstein 1988: 386).
Kurz nach dieser Generalkonferenz gaben die Vereinigten Staaten ihre offizielle Austrittsankündigung bekannt.[Fußnote 43] Diese wurde mit der fortdauernden Diskussion über eine NWICO, den Managementproblemen der Organisation zugespitzt auf die Person des Generaldirektors M'Bow und der immer noch anti-israelischen Grundhaltung der Organisation begründet. Um alle Zweifel zu zerstreuen, wurde zudem noch die angebliche sowjetische Dominanz in der Organisation bemüht. "Some feel that UNESCO is the strongest platform outside of the Soviet Union for the Soviets to present their views."[Fußnote 44] Mit dem Austritt der USA und weiteren Austrittsandrohungen westlicher Staaten (NZZ 16/2/1985, 1) beschleunigte sich der Niedergang des Konzeptes 'NWICO' als neue Rahmendefinition internationaler Kommunikationsbeziehungen. Die Sowjetunion versuchte zwar auch während der 23. Generalversammlung in Sofia 1985, Beschlüsse über weitere Studien zur NWICO herbeizuführen, konnte diese aber nicht mehr durch die zuständige Programmkommission bringen (23 C/ Vol. 2 Reports, 205).
Die Zeit vor der nächsten Generalkonferenz 1987 in Paris und das Treffen selbst standen ganz im Zeichen der Neuwahl eines neuen Generaldirektors. M'Bow erklärte bereits 1986 dem Exekutivrat, daß er nicht mehr für das Amt zur Verfügung stünde (FR 10/10/1986, 2), änderte seine Meinung aber wieder kurz vor der entscheidenden Sitzung wieder. Schließlich sorgte die Sowjetunion mit der überraschenden Unterstützung des westlichen Kandidaten Mayor nach mehreren erfolglosen Wahlgängen für die Ablösung von M'Bow (IHT 19/10/ 1987, 2).
Tiefgreifende innere Reformen der Organisation begleiteten in den nächsten Jahren die Ausarbeitung des Dritten Mittelfristigen Plans ( Third Medium-Term-Plan, 1990-1995 ), dessen Entwurf der Generalkonferenz 1989 zur Änderung und Verabschiedung vorgelegt werden sollte. Das Sekretariat vezichtete dabei auf eine Nennung des Begriffs NWICO im Kommunikationsbereich der Organisation und schlug erstmals ein Einfrieren des Haushaltes vor.
"The plan [...] has been reviewed by State department officials and other Americans. They said it would [...] mark a dramatic change of course for the agency and would eliminate many of the programs opposed by Western countries" (IHT 27/2/1989, 2).
Seit der 25. Generalkonferenz 1989 in Paris war damit der Begriff NWICO aus den Resolutionen und Arbeitsprogrammen der Organisation endgültig verschwunden. Die bisher in den Resolutionen gültige Vorstellung eines free flow of information and its wider and better balanced dissemination wurde durch die Formulierung at international as well as national level ergänzt. Damit entstand rein optisch ein weiterer Bruch zwischen dem free flow und der Forderung nach Gleichgewicht, und es wurde gleichzeitig nahegelegt, daß die Verantwortung für einen asymmetrischen Nachrichtenfluß nicht nur in der internationalen Struktur, sondern auch auf nationaler Ebene zu suchen sei.[Fußnote 45] Die Bewegung der Blockfreien kritisierte lediglich die im Dritten Mittelfristigen Plan (25 C/ 4) sich ausdrückende Politik der Organisation und dessen "ethnozentristische Ausrichtung" (NZZ 15/10, 7 und EA 1989: Z 220).
Ein wichtiger Unterschied zwischen der Diskussion im Rahmen der Blockfreien und der Debatte in der UNESCO läßt sich an den jeweils verwendeten Begriffen für die neue Ordnung festmachen. Die Blockfreien sprachen stets von einer 'Neuen Internationalen Informationsordnung', eine Formulierung, die den zwischenstaatlichen Charakter und damit die darin als wichtig gewünschte Rolle der Staaten selbst hervorhebt. In der UNESCO hingegen wurde mit dem Begriff der Neuen Weltinformations- und -kommunikationsordnung (NWICO) eine eher globalistische Deutung der Ordnung zum (vorläufigen) Kompromiß, in dem die Idee unmittelbarer staatlicher Kompetenz nicht mitschwingt.
Geht man von den konkreten Maßnahmen der Blockfreien zur Herstellung eines ausgewogeneren Informationsflusses aus und betont zugleich die Süd-Süd-Komponente, so kann von einer Infragestellung des herrschenden Systems keine Rede sein. NANAPOOL war als Ergänzung der herrschenden Strukturen konzipiert worden, und es lassen sich in den Dokumenten der Blockfreien keine Empfehlungen finden, die die Abkoppelung von den vier großen, westlichen Agenturen propagierten. Dies wäre immerhin eine im Prinzip mögliche, unilaterale Maßnahme gewesen, die den strukturellen Charakter des Konflikts belegt hätte (H 6). Die Länder der Dritten Welt hätten damit einen entscheidenden Schritt zur Erweiterung ihrer Kontrollmöglichkeiten getan und wären wahrscheinlich auf der anderen Seite vom Westen ökonomisch 'bestraft' worden. Da solche einseitigen Maßnahmen aber offensichtlich nicht ernsthaft in Erwägung gezogen wurden, kann davon ausgegangen werden, daß Teile der Blockfreien die strategische Rolle des Westens in dieser Frage durchaus anerkannten und in ihr Handeln miteinbezogen. Wenn aber der hier nicht offensichtliche Druck des Westens zu unterschiedlichen Reaktionen auf Seiten der Entwicklungsländer geführt hatte, waren die Chancen für eine erfolgreiche und anhaltende Interessenaggregation von vornherein sehr gering.
Die beiden beschriebenen Prozesse der Interessenaggregation und Interessenartikulation, flankiert von einzelnen Versuchen der Selbsthilfe, sind nur in ihrer Wechselbeziehung zu verstehen. Dabei stellte sich heraus, daß es keine zeitliche Aufeinanderfolge der beiden Prozesse gab, wie es durch die Konzeptualisierung nahegelegt wird. Vielmehr dominierten die Ereignisse in der UNESCO von Beginn an die Diskussion und beeinflußten sehr stark die Formulierung der Position in der Bewegung der Blockfreien. Die UNESCO hatte anfänglich eine Schrittmacherfunktion in der Formulierung des Problems, und ohne sie hätte nicht nur die Arena zur Artikulation gefehlt, sondern auch ein großer Teil der Ressourcen, die - eingesetzt für Studien, Konferenzen und sonstige Aktivitäten - einen kohärenten, diskussionsfähigen Problemaufriß lieferten. Erst mit einer gewissen Zeitverzögerung reagierten die Betroffenen selbst auf die sich bietende Möglichkeit der Herausforderung des status quo.
Damit war die UNESCO nicht nur als Forum der Artikulation von Interessen wichtig (Krasner 1985: 7ff.), sondern sie war darüber hinaus an der Meinungsbildung der staatlichen Akteure beteiligt. Krasner kann diese Dimension nicht ausreichend in seine neorealistische Argumentation integrieren. Im Fall der Dritten Welt geht dies sogar soweit, daß die Organisation für viele Staaten die eigenen Interessen mitformulierte oder zumindest die Argumente dazu lieferte. Gleichzeitig mit dieser Feststellung ist aber auch darauf zu verweisen, daß der Einfluß einer internationalen Organisation über Zeit und Problemfeld variieren kann. Der Vergleich der beiden sehr unterschiedlichen Organisationen legt die Schlußfolgerung nahe, daß eine neorealistische Interpretation die Wirkung internationaler Institutionen eher unterschätzt. Die Frage nach der Akteursqualität von internationalen Organisationen ist nicht vorab theoretisch zu lösen, sondern im Verlauf der Untersuchung empirisch zu beantworten.
Hypothesen 1/2
Der Prozeß der Interessenaggregation im
Rahmen der Bewegung der Blockfreien kann weder als konsensual noch als primär
abhängig von systemisch-positionalen Ausgangsbedingungen bezeichnet
werden. Vielmehr führte der Erfolg der OPEC zu Beginn der 70er Jahre in
den einzelnen Ländern zu einer temporären Annäherung der
jeweiligen Interessen und Strategien, die die Integrationskraft der Bewegung
kurzfristig steigerte. Zwar existierten bereits zuvor Anreize zum gemeinsamen
Vorgehen, doch erst hier wurden diese Motive ansatzweise handlungsleitend (H 2).
Gemeinsame Interessenvertretung war damit ein manchmal erreichtes Ziel der
Bewegung, doch ist dies nicht zu verwechseln mit einer Interessenidentität
als Ausgangsbasis für gemeinsames Handeln. Zum einen war es nicht die
internationale Struktur an sich, sondern die kollektive Interpretation
bestimmter internationaler Ereignisse, die das Handeln beeinflußten. Zum
anderen war die internationale Umwelt aufgrund der Beteiligung der UNESCO als
relevanter Akteur komplexer als dies eine neorealistische Interpretation zuläßt
(H 1). Darüber hinaus fand die Interessenaggregation nicht in einem
weltpolitischen Vakuum statt, vielmehr war von Beginn an die westliche
(Macht-)Position im Hintergrund präsent.
Doch selbst Momente relativer Geschlossenheit (Nairobi 1976) und offensiver Argumentation wurden nicht für eine Durchsetzung neuer Rahmenbedingungen genutzt. Mit der Einführung des IPDC verlor das gemeinsame Handeln der Staaten des Südens wieder seine minimale Initiativkraft und beschränkte sich auf Reaktion. In diesem Zusammenhang hat sich auch gezeigt, daß Staaten trotz vermeintlich objektiv dem Westen angenäherter Interessen keineswegs auch ein zurückhaltendes Auftreten in der Debatte bevorzugten. Indien konnte als teilweise sogar führende Stimme zugunsten einer NWICO identifiziert werden. Liberale Ansätze mit ihrer Offenheit für andere Einflußfaktoren, einschließlich interner Anforderungen an das politische System, können hier möglicherweise bessere Erklärungen bieten.
Es ließ sich ebenfalls nachweisen, daß die rapide Entwicklung technischer Möglichkeiten direkten Einfluß auf die Debatte nahm, indem die anfängliche Dominanz des ideologisch befrachteten Themas "Massenmedien" langsam durch andere Probleme relativiert wurde. Eine allein auf den Machtressourcen basierende Erklärung greift dabei zu kurz und muß durch eine Einbeziehung der unabhängigen Rolle der UNESCO als Vertreterin des Universalitätsprinzips ergänzt werden. Auf beiden Seiten der Auseinandersetzung ist keine klare Strategie erkennbar, die entweder konsequent innerhalb der bestehenden Ordnung die eigene Position zu verbessern suchte oder den Ordnungsrahmen als solchen in Frage stellte. Dies ist die Folge der maßgeblichen Rolle der UNESCO und der dort wirksamen Normen als ein die Debatte strukturierendes Element. Krasner kann dieses Moment zwar empirisch feststellen, nicht aber systematisch in seine Theorie integrieren, denn der Übergang vom Realismus zum Neorealismus war gerade dadurch gekennzeichnet, daß vermeintlich nicht klar bestimmbare Faktoren ausgeschlossen wurden. Anarchie und Macht galten als klar definierbar in ihrem Einfluß, Völkerrecht und Interdependenz nicht. Gerade die staatlichen Akteure der Dritt-Welt-Staaten, die zudem oftmals ohne vom gesellschaftlichen Umfeld auferlegte Beschränkungen international agieren, hatten Wahlmöglichkeiten und nutzten diese auch. Die Ableitung der Interessendefinition von Akteuren aus vermeintlich objektiven strukturellen Bedingungen vernachlässigt nachweisbare andere Faktoren bei der Interessenbildung sowie die prinzipielle Möglichkeit für Akteure, sowohl Ziele als auch Mittel zu deren Erreichung zu wählen.
Hypothese 3
In bezug auf Hypothese 3 ist festzustellen, daß
im Bereich der internationalen Kommunikation die Interessen und Ziele der
Staaten keineswegs von vornherein definiert waren, sondern insbesondere für
die Staaten der Dritten Welt erheblich von der UNESCO mitformuliert wurden.
Erst Jahre nachdem in akademischen Kreisen und unter dem Dach einer
internationalen Organisation das Thema behandelt worden war, machte sich die
Bewegung der Blockfreien in einer für sie weltpolitisch günstigen
Situation das akkumulierte Wissen zu eigen und formulierte daraus politische
Forderungen. Als weiteres Motiv für einzelne staatliche Akteure des Südens
(und der sozialistischen Staaten insgesamt) kann die wünschenswerte
internationale Sanktionierung von internen Zensurmaßnahmen identifiziert
werden, die damit ihre Legitimation nach Innen aufwerten können. Diese
innenpolitisch motivierte Forderung nach globalen ordnungspolitischen Maßnahmen
widerspricht einer Interpretation, die das Handeln der Akteure nur aus der
internationalen Konkurrenzsituation zwischen Staaten erklären will. Hinzu
kommt, daß in wichtigen Bereichen (u.a. Nachrichtenagenturen)
Selbsthilfemaßnahmen weitergehenden Forderungen vorgezogen wurden und
keine gemeinsamen Beschlüsse z.B. zum Ausschluß der vier großen
Agenturen erwogen wurden. Andererseits konnte die dritte Hypothese insofern
bestätigt werden, als es sich bei der NWICO tatsächlich um eine
machtrelevante Herausforderung der bestehenden internationalen Ordnung gehandelt
hat.
Hypothese 4
Auch diese Annahme nennt für den Verlauf der
Debatte prinzipiell wichtige Faktoren, klärt allerdings nicht deren
jeweiligen Stellenwert. Als vierter Faktor konnte darüber hinaus die
Arbeit der UNESCO selbst identifiziert werden, die in der Debatte nicht
ausschließlich Bewegte, sondern auch Bewegerin der Diskussion war. Während
Krasner zunächst im Sinne des Neorealismus eine Ausnahmesituation
konstruieren muß, um den Beginn der Debatte zu erklären (
window
of opportunity
), ermöglicht die Konzentration auf die Perzeption der
internationalen Umwelt durch staatliche Akteure und deren Wandel eine weit
bessere Erklärung der Begebenheiten. Die von Krasner eingeführten
Faktoren für die Erfolgschancen der Dritten Welt (institutionelle
Strukturen, konsistentes Ideengebäude und Verhalten und Macht des Norden)
weisen zwar in die richtige Richtung, doch verbietet der neorealistische Rahmen
eine konsequente Beschreibung ihrer Wirkungen. In ihnen drücken sich
verschiedenartige Konzepte aus (von völkerrechtlichen bis hin zu
konstruktivistischen Aspekten), die allerdings in der vorgestellten eingeschränkten
Anwendung keine adäquate Berücksichtigung finden. Es mangelt u.a. an
grundlegenden Ausführungen, unter welchen Bedingungen diese Faktoren eine
jeweils unterschiedliche Wirkung entfalten können.
Hypothese 5
Im großen und ganzen wurde die alte Ordnung
wiederhergestellt; dies bestätigt die These in ihrem zweiten Teil.
Allerdings ergeben sich einige Zweifel bezüglich des kausalen Nexus, der
nach neorealistischer Lesart allein die fehlenden Machtressourcen für das
Scheitern der NWICO verantwortlich macht. Während die institutionelle
Struktur der UNESCO eine entscheidende Rolle in der anfänglichen
Formulierung des Ideengebäudes NWICO spielte, herrschte im Westen zu
Beginn der Diskussion keine Klarheit über die eigene Position. Erst im
Verlauf der Debatte und unter dem Einfluß von Interessengruppen bezog er
Stellung zugunsten einer ausschließlichen Verteidigung von liberalen
Grundwerten. Insbesondere europäische Staaten mit einer starken
sozialdemokratischen Tradition suchten dabei einen Mittelweg zwischen der
Verteidigung von liberalen Grundprinzipien und einer 'gerechteren' Weltordnung.
Der reale Verlauf der Auseinandersetzung widerspricht Krasners These, nach der
ein wachsender Erfolg des Südens mit einem sich beschleunigenden Rückzug
des Nordens korreliert. Dies reflektiert weder die unterschiedlichen Reaktionen
im westlichen Lager noch die Tatsache, daß der Austritt der USA aus der
UNESCO zu einer Zeit erfolgte, als aus Sicht ihrer Protagonisten Stagnation und
Rückschritt die Diskussion um eine NWICO bestimmten. Mit dem Amtsantritt
von Ronald Reagan gewannen hier Stimmen an Gewicht, die die multilaterale
Zusammenarbeit per se als den Interessen der USA schädlich betrachteten
(z.B. Heritage Foundation; vgl. Giffard 1989: 62).[Fußnote 46]
Hypothese 6
In bezug auf die Zukunft der Nord-Süd-Beziehungen
kommt Krasner zu einer fragwürdigen Schlußfolgerung. Zwar bilden die
Asymmetrien in vielen Politikfeldern ein grundlegendes Merkmal der Nord-Süd-Beziehungen,
doch ist es empirisch nicht nachvollziehbar, wenn diese Asymmetrien als Teil
einer unveränderlichen Struktur aufgrund theoretischer Annahmen des
Realismus verabsolutiert werden (Krasner 1985: 304f.). Dies ignoriert sowohl
die unterschiedliche Wirkungsweise von Asymmetrie als auch schon immer
bestehende interne Differenzen im Lager der Blockfreien. Seiner mit Teilen der
dependencia
-Forschung deckungsgleichen Forderung nach einer
Abkoppelung des Südens vom Norden mangelt es aufgrund ihres pauschalen
Charakters an einer praktischen Umsetzbarkeit. Wenn Krasner als Haupterfolg
einer solchen Abkoppelung die Ablenkung der Unzufriedenheit des Südens vom
Norden nennt, stellt sich die Frage, wohin diese Unzufriedenheit sich dann
wendet.
Die Erweiterung der Machtdefinition jenseits von materiellen Ressourcen führt zwar die Argumentationen des älteren Realismus aus ihrem tautologischen Zirkel, doch mit der fortgesetzten Bindung dieser Macht an intentionale Akteure wird das Grundproblem der unhinterfragten Orientierung des Realismus am Status quo weiter verstärkt (Albrecht/Hummel 1990: 94). Krasner versucht mit seinem Ansatz Politikergebnisse (outcomes) nicht allein über die direkte Konfrontation von Machtressourcen zu erklären, sondern berücksichtigt ebenfalls die Fähigkeit von Akteuren, den Rahmen, innerhalb dessen es zur Konfrontation kommt, zu beeinflussen. Diese sinnvolle Erweiterung der Perspektive billigt einerseits den Akteuren eine größere Autonomie zu (sie haben die Wahl zwischen verschiedenen Ebenen der Interaktion), andererseits werden neue, dem Realismus fremde Faktoren als mögliche "constraints" für staatliches Handeln eingeführt (Regime, Internationale Organisationen). Beides kann aber von Krasner nicht systematisch integriert werden, denn es handelt sich dabei um Variablen, die die dominierende Rolle von Staaten untergraben. Da der Neorealismus - weit stärker als der ältere Realismus - nur die Selbsterhaltung als handlungsleitend anerkennt, können andere Charakteristika der internationalen Umwelt (z.B. das Völkerrecht) keine unabhängige Rolle beanspruchen. Sie müssen als ad hoc-Faktoren unverbunden der eigentlichen Erklärung zur Seite stehen, auch wenn sie das Anarchische der internationalen Umwelt selbst untergraben.
Aus dem Machtbegriff von Krasner ergibt sich das Problem, daß dieser alle Einflüsse auf ein bestimmtes Politikergebnis zu umfassen sucht, zugleich aber Macht nur dann als solche erkennt, wenn diese von Akteuren intentional ausgeübt wird. Regime müssen so letztendlich Mittel staatlichen Handelns sein und können nicht unabhängig die Machtverhältnisse zwischen Staaten beeinflussen, obgleich Krasner dies in bestimmten Fällen einräumt. Da die Dritte Welt den status quo offen in Frage stellte, ist für Krasner der Tatbestand des versuchten Regimewandels erfüllt. Erst von diesem Zeitpunkt an kann die neorealistische Theorie den Einsatz von Machtmitteln erkennen. Er bleibt aber analytisch blind für den umgekehrten Fall, in dem Akteure ihre Machtressourcen aus einem bestehenden Regime beziehen, die Akteure also passiv von der bestehenden Ordnung profitieren. Damit kann Krasner Macht, die sich in historisch gewachsenen Strukturen verfestigt hat, nicht theoretisch erfassen, vielmehr nutzt er das Konzept im Sinne unhinterfragter Plausibilität. Gegenüber dem älteren Realismus leitet der Neorealismus seine Aussagen systematisch und leichter nachvollziehbar aus seinen Grundannahmen über das internationale System ab. Diese Vereinfachung und abstrakte Vervollkommnung der Theorie und ihrer Methode geht zu Lasten der empirischen Reichweite eines Programmes, das einmal angetreten war, die Welt, wie sie ist und nicht wie sie sein sollte, zu beschreiben. Der Versuch von Krasner, an den Ausgangspunkt des Realismus zurückzukehren, muß zwangsläufig über die Integration von Faktoren geschehen, die sich weder mit dem älteren Realismus noch mit dem Neorealismus Waltzscher Prägung in Einklang bringen lassen.
Monographien und Aufsätze
Zeitschriften und Dokumentensammlungen
This essay discusses Stephen D. Krasner's book "Structural Conflict. The Third World Against Global Liberalism" with reference to the debate on a New World Information and Communication Order in the 1970s and 1980s. In a first step, the development from the older realist perspective to the various strands of neorealist thought is summarized. The empirical and theoretical challenges neorealism has been trying to cope with are (1) a parsimonious explanation of state behaviour (Waltz), (2) the growing relevance of non-security relations between states (Gilpin), and (3) the phenomenon of "complex interdependence" (Keohane/Nye) which points to the (growing) relevance of international organizations and regimes. Krasner partly acknowledges these arguments and explains the relative success of the Third World with reference to (1) institutional structures on the international level, (2) a set of consistent ideas supporting the Third World, and (3) the positive northern attitude toward multilateral institutions in the 1970s.
In chapter 3, 4, and 5 empirical evidence is used to evaluate the neorealist hypotheses proposed by Krasner. This evidence is taken from both the interest formation process within the non-aligned movement and the confrontation of these interests with mainly western countries within the various fora of UNESCO. It is concluded that Krasner rightly points to power asymmetries, but that he cannot reconcile his approach with a Waltzian neorealist concept. Empirically, his power concept tries to include non-intentional aspects of power, but theoretically, he sticks to a narrow neorealist reading which discernes power only if it can be traced back to intentional actors. Krasner is able to explain more empirically than other (neo)realists, but theoretically he no longer resides clearly within the neorealist paradigm.
Furthermore, the independent role of international organizations in influencing policy outcomes is not adequately reflected in his approach. Although the weak international position of the Third World countries had considerable influence on their behaviour, it did not solely determine their behaviour against other states. Depending on the time period, other factors became prominent in forming their interests, including activities from international organizations.